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"Eine Bankrotterklärung europäischer Politik"

Nina Werkhäuser/Bettina Marx13. Februar 2014

Seit der Flüchtlingskatastrophe vor Lampedusa mit Hunderten Toten habe sich trotz Ankündigungen der Politik nichts verbessert, sagt die Europa-Abgeordnete Barbara Lochbihler (Grüne). Das sei skandalös.

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Barbara Lochbihler Grüne EFA-Fraktion Europäisches Parlament
Bild: picture-alliance/dpa

Deutsche Welle: Nach der Flüchtlingskatastrophe vor der italienischen Insel Lampedusa im vergangenen Herbst hat die EU versprochen, dass sich die Flüchtlingspolitik ändern wird. Hat sich tatsächlich etwas verbessert?

Barbara Lochbihler: Es hat sich nichts geändert, nicht einmal die Rhetorik. Es wird nur darauf verwiesen, dass jetzt eine Task Force eingerichtet wurde. Ich habe mir das erste Papier angeschaut: Inhaltlich wird wieder auf Abschottung gesetzt. Es hat kein politisches Umdenken gegeben. Unsere Grenzen in Europa müssen Türen haben, damit die Flüchtlinge hineinkommen und einen Asylantrag stellen können.

Welche Rolle spielt in diesem Zusammenhang das Grenzüberwachungssystem EUROSUR, das im Oktober 2013 offiziell aus der Taufe gehoben wurde?

Nach Aussage der zuständigen EU-Kommissarin Cecilia Malmström ist EUROSUR dafür da, die Flüchtlinge zu schützen. Mit dieser Überwachungstechnologie kann man Menschengruppen erkennen, die sich bewegen. Diese Daten werden weitergegeben, zum Beispiel an Länder wie Libyen oder Mauretanien. Es wird gesagt, das diene dem Schutz der Flüchtlinge, damit sie nicht die gefährliche Reise über das Mittelmeer antreten. Ich halte das für zynisch. Nach meiner Einschätzung dient EUROSUR vor allem dazu, die Flüchtlinge gar nicht erst bis an die EU-Grenze vorzulassen.

Haben Sie noch Hoffnung, dass sich an der Flüchtlingspolitik der EU in absehbarer Zeit etwas ändert?

Ich habe nicht viele Illusionen. 400 Menschen sind damals in Lampedusa gestorben. Aber jedes Jahr werden mehr als 1000 Leichen aus dem Mittelmeer geborgen. Auch das hat bei den politischen Führungszirkeln bisher zu keinem Wandel geführt, bei aller Betroffenheit im jeweiligen Moment. Auch die Bundeskanzlerin hat nicht kapiert, dass das etwas Skandalöses ist, eine Bankrotterklärung europäischer Politik, die ja für sich immer in Anspruch nimmt, eine wertegeleitete Politik zu sein.

Wenn die Betroffenheit doch da ist, woran scheitert es dann?

Die Politik ist nicht aktiv genug, wirklich Lösungen zu finden. Die einzelnen Rückübernahmeabkommen, die europäische Länder zum Beispiel mit der Türkei schließen, die gehen alle davon aus: Nehmt uns die Flüchtlinge wieder weg, dafür kriegt ihr Visaerleichterungen. Da schauen wir überhaupt nicht, wie die Menschenrechtslage ist. Man möchte, dass die gedachten EU-Außengrenzen im Süden des Maghreb und an der iranisch-syrischen Grenze verlaufen. Dann sehen wir die Flüchtlinge nicht mehr und bekommen zu Hause keinen Druck von unserer eigenen Bevölkerung.

Wie könnte eine andere Flüchtlingspolitik aussehen?

Man muss Wege finden, das geordnet zu machen. Warum überlegt man sich nicht, in einzelnen EU-Botschaften in den Anrainerstaaten Visa an die Flüchtlinge zu vergeben, die dann in der EU einen Asylantrag stellen könnten? Oder, wenn Flüchtlinge nach Italien oder Griechenland kommen, dort eine Überprüfung vorzunehmen? Wie das am besten geht - so weit sind wir noch nicht. Aber ohne das werden wir den Druck und die Gefahr für die Flüchtlinge nicht rausnehmen.

Wir Deutschen haben ja keine EU-Außengrenzen und überlassen die Arbeit Ländern wie Griechenland, Italien und Spanien. Was kann Deutschland tun?

Deutschland und andere Länder innerhalb der EU müssen sich natürlich verpflichten, die Ersteinreise-Staaten zu entlasten, indem sie verbindlich Menschen aufnehmen. Das tun sie nicht. Im Moment wird ein Flüchtling, der zum Beispiel von Italien in die Niederlande weiterwandert, wieder nach Italien zurückgeschoben. Auch das muss aufhören.

Die meisten syrischen Bürgerkriegs-Flüchtlinge werden von den Anrainerstaaten Jordanien, Libanon oder der Türkei aufgenommen, die dadurch destabilisiert werden. Was kann die EU tun?

Europa kann noch mehr Menschen aufnehmen. Die Türkei beispielsweise hat Hunderttausende Flüchtlinge aufgenommen. Wir sind in der Umsetzung so langsam, dass die 10.000 Syrer, die wir in Deutschland aufnehmen wollen, noch nicht einmal da sind.

Barbara Lochbihler ist Abgeordnete für die Grünen im Europaparlament. Seit 2011 ist sie Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses. Zuvor war sie zehn Jahre lang Generalsekretärin der deutschen Sektion von Amnesty International.

Das Interview führten Nina Werkhäuser und Bettina Marx.