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Liven in Lettland

Birgit Johannsmeier17. September 2009

Die Liven sind ein nahezu ausgestorbenes Volk in Europa. Ursprünglich lebten sie an der lettischen Küste. Die livische Jugend versucht nun, die Sprache ihrer Großeltern zum Leben zu erwecken.

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Junge Livinnen sitzen auf der Veranda vor einem Haus (Foto: Birgit Johannsmeier)
Junge Livinnen wollen die livische Sprache erlernenBild: Birgit Johannsmeier

Schon am frühen Morgen spazieren Monta und ihr Freund Davis durch den verwilderten Garten, lauschen dem Rauschen des Meeres und fragen einander livische Vokabeln ab. Einst haben die Großeltern der 22-jährigen Studentin in dem kleinen grünen Holzhaus an der lettischen Ostseeküste gelebt. Aber das ist lange her. Heute wollen Monta und Davis ihre livische Kultur in Lettland wiederbeleben. Sie sei stolz eine Livin zu sein, meint die strahlende Monta und streicht eine lange blonde Strähne aus dem Gesicht.

Monta und Davis, ein junges Paar, vor dem Haus der Großeltern (Foto: Birgit Johannsmeier)
Monta und Davis lernen im Garten Livisch-VokabelnBild: Birgit Johannsmeier

Die jungen Leute fühlen sich verbunden mit dem Dorf Korschrags, mit den Kiefernwäldern und dem Meer. "Wir Liven sind Strandmenschen", sagt Monta. "Leider hat mir mein Großvater nicht mehr die livische Sprache beigebracht." Da hat ihr 25-jähriger Freund Davis mehr Glück gehabt. Als er ein kleiner Junge war, hat sein Opa in jeder freien Minute, mit ihm Livisch gesprochen und Davis kennt noch viele Worte. Trotzdem will auch er anfangen, die Sprache richtig zu lernen, weil er wie Monta davon träumt, dass seine Kinder eines Tages auf Livisch miteinander sprechen können.

"Livische Revolution"

Mehr noch denken die jungen Leute daran, die livische Nation neu aufzubauen. In einem ersten Schritt hat Davis Stalts mit Freunden den "Livu Fonds" gegründet: Eine Stiftung, die bei der so genannten "Livischen Revolution" federführend sein will. Vielleicht könnte man sogar die livischen Siedlungen an der Ostseeküste neu beleben. "Hier in Korschrags sollten mehr und mehr Liven Grundstücke erwerben", sagt er. "Dann werden wir eines Tages alle zusammen am Feuer sitzen und unsere alten livischen Lieder singen."

Schon jetzt hat Montas Tante auf dem Grundstück gegenüber ein kleines Sommerhaus für ihre große Familie gebaut. An den Wochenenden treffen Monta und Davis hier ihre Vettern und Cousinen, es wird viel geredet, gekocht und gelacht. Sie alle sind stolz auf ihre Vorfahren, die als Schiffsbauern oder Fischer rund um Korschrags wohnten. Und sie alle wollen, dass die livische Sprache wieder Teil ihres Alltags wird. Ihre Eltern seien herangewachsen, als Lettland noch Sowjetrepublik war, sagt Montas Cousine Krista.

Liven am Strand bei einem traditionellen Ritual (Foto: Birgit Johannsmeier)
Im August versammeln sich alle Liven am Strand von Mazirbe, um einer alten Tradition zu gedenkenBild: Birgit Johannsmeier

Damals war die Livische Sprache verboten, die Großeltern mussten ihr Dorf verlassen, denn Korschrags blieb auch nach dem Zweiten Weltkrieg Sperrgebiet. Erst nach Lettlands Unabhängigkeit haben die Liven ihr Land zurückbekommen. "Unser Opa hat an seinen eigenen Kinder beobachtet, wie die livische Sprache stirbt", erinnert sich Krista. "Aber jetzt, in der neuen freien Atmosphäre hoffen unsere Eltern darauf, dass wir die livische Sprache neu beleben werden."

Livisch-Sprachkurse

Deshalb haben die jungen Leute Professor Tiit-Rein Viitso aus Estland engagiert, der sie in Sprachkursen betreuen will. Er habe schon als Student vor dreißig Jahren die letzten Liven in Lettland getroffen, um ihren Wortschatz zu studieren.

Schiff mit livischer Flagge auf stürmischer See (Foto: Birgit Johannsmeier)
Zu Ehren der Liven wird ein Eichenkranz der Ostsee übergebenBild: Birgit Johannsmeier

Leider sei diese finno-ugrische Sprache in Lettland völlig vernachlässigt worden, während man Livisch in Finnland und Estland sogar studieren kann, sagt Tiit-Rein Viitso. In Lettland gebe es heute kaum mehr als zehn Liven, die die livische Sprache beherrschten. "Als das Cornish in Cornwall wieder entdeckt wurde, hoffte ich, dass etwas Ähnliches vielleicht auch hier in Lettland passieren wird", sagt Tiit-Rein Vitso.

Er unterrichtet estnische Studenten in Livisch, aber erst vor einem Jahr kamen erstmals junge lettische Liven auf ihn zu, um die Sprache zu lernen. "Ich bin begeistert. Die livische Sprache hat eine sehr komplizierte Aussprache, allein deshalb ist es wichtig, dass sie lebendig bleibt."

Livenfest

Jedes Jahr im August versammeln sich die Liebhaber der Livischen Kultur im Nachbardorf Mazirbe, um der jahrhundertealten Traditionen zu gedenken. Gäste aus Estland, Finnland und Ungarn ziehen mit an den Strand, wenn unter grün-weiß-türkiser Fahne ein großer Eichenkranz der Ostsee übergeben wird.

Monta und Davis vor einem Lagerfeuer (Foto: Birgit Johannsmeier)
Am Lagerfeuer am abend des LivenfestesBild: Birgit Johannsmeier

Jaak Prozes ist mit vielen Freunden der Finno-Ugrischen Gesellschaft aus Estland gekommen und möchte die jungen Liven in Lettland unterstützen. "Wenn wir nicht wollen, dass ein Volk einfach verschwindet, muss man die Lernwilligen mit finanziellen Zuschüssen locken, zu Hause wieder Livisch zu sprechen", sagt er. Die Finno-Ugrische Gesellschaft setzt sich dafür bei der Estnischen Regierung ein. "Die Welt wird immer globaler, es wäre schade und langweilig, wenn am Ende nur noch fünf große Sprachen übrig blieben."

Zum Abschluss des großen Livenfestes wird in der Nacht ein großes Lagerfeuer angezündet. Monta und Davis haben sich am Strand mit Freunden und Verwandten zum Singen verabredet. Hier fühlten sie sich ihren Vorfahren sehr nah, meinen die beiden Liven. Hier schöpfen sie Kraft und Mut, eines Tages wieder zu einem aktiven Liven Volk zu gehören, das seine livische Sprache richtig beherrscht. Jetzt reiche ihr Wortschatz immerhin für ein Lied.