1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

"Harry-Fisher-Liste" soll online erscheinen

Annika Zeitler17. Januar 2014

Bei der Suche nach NS-Raubkunst fordern viele mehr Transparenz. Das Victoria and Albert Museum in London will nun die "Harry-Fischer-Liste" veröffentlichen - eine Inventarliste der von den Nazis beschlagnahmten Werke.

https://p.dw.com/p/1As2O
Harry Fischer Liste Inventarliste der Nazis Entartete Kunst
Bild: Victoria & Alber Museum

In zwei Bänden hatte der Kunsthistoriker Rolf Hetsch im Auftrag von Adolf Hitler aufgelistet, welche Kunstwerke die Nationalsozialisten 1937 für die Ausstellung "Entartete Kunst" in München und auch noch danach beschlagnahmt hatten. Über 16.000 Werke, alphabetisch sortiert nach den Namen der Museen, aus denen sie stammten. Angegeben sind in der Inventarliste auch die Nachnamen der Künstler und Informationen darüber, was mit den Werken passierte. "Unter 'K' findet sich etwa die 'Kunsthalle Hamburg' und dort zum Beispiel der 'Neujahrsgruß' von Karl Schmidt-Rottluff - verkauft an einen Hildebrand Gurlitt", erklärt der deutsche Leiter des Londoner "Victoria and Albert Museum" Martin Roth.

Bisher war die Inventarliste nur Wissenschaftlern für ihre Forschung zugänglich. "Ende Januar wollen wir die Liste für alle im Internet zugänglich machen", sagt Roth. Er leitet das Museum seit 2011 und war sich bis vor kurzem nicht bewusst, dass das die einzig komplett erhaltene Kopie beider Bände ist – der sogenannten "Harry-Fischer-Liste". "Aus meiner Sicht ist das wirklich spektakulär und deshalb ist es fast schon peinlich, dass die Liste bis jetzt noch nicht veröffentlicht wurde", so Roth.

Martin Roth, Leiter des Victoria and Albert Museum in London (c) Peter Kelleher
Martin Roth, Leiter des Victoria and Albert Museum in LondonBild: Peter Kelleher

Harry-Fischer-Liste: Bisher nur zu Forschungszwecken

Die Liste stammt aus dem Nachlass des österreichischen Kunsthändlers Heinrich Robert (Harry) Fischer, der 1938 nach Großbritannien flüchtete. "Niemand weiß bis heute, wie er in den Besitz der gesamten Inventarliste gekommen ist, das bleibt vermutlich ein ewiges Geheimnis", so Roth weiter. Zwei Kopien des ersten Inventarbandes mit den Museen von A-G, Aachen bis Greifswald, waren seit Ende des Zweiten Weltkriegs bekannt. Aber alle Kopien des zweiten Bandes mit den Einträgen H-Z, Hagen bis Zwickau, blieben verschollen. 1996 tauchte dann eine glaubhafte Kopie des kompletten Inventars wieder auf. Die Witwe Harry Fischers schenkte sie dem Victoria and Albert Museum in London.

Kunsthistoriker der Freien Universität Berlin haben mit der gesamten Inventarliste schon gearbeitet. Sie haben unter anderem mit ihren Informationen die umfangreichste Online-Datenbank zu "Entarteter Kunst" erstellt, die im Internet seit 2010 veröffentlicht ist. Hier kann jeder die in den deutschen Museen beschlagnahmten Werke einsehen.

Ausstellungsführer Entartete Kunst München 1937 (c) dhm
Der Ausstellungsführer zu "Entartete Kunst" München 1937Bild: dhm

Mögliche neue Hinweise zu Kunstwerken

Ende Januar 2014 könnten sich mit der Veröffentlichung der "Harry-Fischer-Liste" für Erben jüdischer Privatsammler und deutscher Museen möglicherweise neue Hinweise zu verschollenen Kunstwerken ergeben. "Man kann sich erhoffen, dass noch einiges über Handelswege klar wird und dass man im einen oder anderen Fall von Stücken weiter kommt, deren Spur sich verloren hat", sagt Gilbert Lupfer, Leiter der Provenienzforschung der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden.

Auch der Provenienzforscher Willi Korte empfiehlt, auf die Liste zu schauen: "Ich hoffe, dass so mancher darauf ein Bild findet, das ihm als Privatsammlungsverlust bekannt ist, und dann durch die Liste erfährt, in welches Museum es gegangen ist". Ob es dann noch in dem angegebenen Museum hängt, ist die nächste Frage. Die Liste scheint jedoch ein wichtiges Puzzlestück für die Provenienzforschung zu sein, ihre Veröffentlichung ein wichtiger Schritt in Richtung Transparenz - die im Zusammenhang mit der Privatsammlung von Cornelius Gurlitt auch immer wieder von Kritikern gefordert wird. Ein Beispiel auch für Deutschland?

Der Provenienzforscher Willi Korte (c) Getty Images
Der Provenienzforscher Willi KorteBild: Getty Images

Ein Vorbild in Sachen Transparenz?

"Wenn man jetzt daraus die simple Forderung ableitet, jedes Museum muss alle Unterlagen öffentlich machen, ist das zu kurz gedacht. Da fängt ein ganz komplizierter Prozess an, der um die Fragen kreist: Was unterliegt dem Datenschutz, wo kann man überhaupt Einblick gewähren?", sagt der Provenienzforscher Gilbert Lupfer. Er sieht es vor allem als Aufgabe der Museen, ihre Bestände zu erforschen: "Wenn du irgendwo mit einem Fallschirm abspringst in einem Museumsarchiv und hast vorher keine Ahnung davon, dann führt das zu relativ wenig."

Willi Korte kritisiert dagegen, dass es auch nach dem "Fall Gurlitt" schwierig sei, Informationen von den Museen zu erhalten. "Ich bin bis heute dabei, mich durchkämpfen zu müssen, um Zugang zu Museumsakten zu bekommen", sagt er.