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"Der eigenen Sprache verpflichtet"

Jochen Kürten26. Oktober 2013

Die Schriftstellerin Sibylle Lewitscharoff ist in Darmstadt mit dem Georg-Büchner-Preis geehrt worden. Im DW-Interview spricht die Preisträgerin über ihr Verhältnis zum Namensgeber und die Bedeutung von Kultur.

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Die Autorin Sibylle Lewitscharoff (Foto: dpa)
Sibylle Lewitscharoff SchriftstellerinBild: picture-alliance/dpa


Der Georg Büchner-Preis gilt als wichtigste deutsche literarische Auszeichnung. Lewitscharoff ist einem größeren Publikum seit 1998 bekannt. Damals erhielt sie für ihr Prosa-Debüt "Pong" den Ingeborg Bachmann-Preis. Seither hat die studierte Theologin mehrere Romane geschrieben. Wir erreichten die Autorin zum Gespräch in Rom, wo sie sich zu einem Studienaufenthalt in der Villa Massimo aufhält, und sprachen mit ihr über Büchner, neue Pläne, die deutsche Sprache und die Bedeutung von Kultur.

DW: Sie haben einmal betont, dass Sie sich zum Namensgeber des wichtigsten deutschen Literaturpreises, zu Georg Büchner, gar nicht so hingezogen fühlen.

Sybille Lewitscharoff: Ich habe keinen wirklich habhaften Bezug zu ihm. Es gibt andere Schriftsteller, die mir wirklich ans Herz gewachsen sind und zu denen ich eine starke Verbindung fühle. Jean Paul zum Beispiel. Aber der heißeste Kandidat für meine ganz große Liebe ist immer Franz Kafka. Zu Büchner muss ich die Verbindung erst ein bisschen aufbauen.

In der Begründung der Jury heißt es, dass "Sibylle Lewitscharoff die genaue Wahrnehmung der deutschen Gegenwart in Bereiche des satirischen, des legendenhaften und phantastischen erweitere". Sind sie damit einverstanden?

Das ist eine schöne Zuschreibung. Ob sie jetzt das Nägelchen auf den Kopf trifft, das weiß ich nicht so recht. Das kann man ja über sich selber schwer sagen.

Sie halten sich gerade in Rom auf. Hat Sie das zu ihrem Romanprojekt inspiriert, in dem es um den italienischen Dichter Dante geht?

Diesen Plan hatte ich schon vorher gefasst. Das hat sich nur sehr günstig ergeben, dass man mich ausgerechnet jetzt, ohne dass jemand davon wusste, in die Villa Massimo eingeladen hat. Da kann sich das natürlich schön vertiefen, obwohl ich hier damit nicht fertig werde. Aber das ist ein wunderbarer Zufall, dass ich noch einmal in Rom sein darf und einen Roman zumindest konzipieren kann, der auch von Rom ausgeht.

Georg-Büchner-Preis für Lewitscharoff

Was ist das für ein Roman-Projekt?

Ich habe eine intensive Beschäftigung mit Dante vor. Das ist nun wirklich ein ganz großer Dichter, das ist ein Jahrtausenddichter. Man lernt aus diesem Werk nicht nur die italienische Sprache. Es ist überhaupt das größte Werk, das das Christentum geschaffen hat. Mich hat nicht in erster Linie gereizt, in die Welt Dantes einzutauchen, über Dante zu schreiben oder über das Jahrhundert, in dem er gelebt hat. Mich hat gereizt: Was geschieht, wenn sich ein Dante-Kongress heute mit Dante beschäftigt und dann ein Wunder hereinbricht, ein Wunder, das mit Dante direkt gar nichts zu tun hat? Wenn ein neues Pfingstwunder über die Gemeinschaft hereinbricht?

Es geht also um einen Dante-Kongress, bei dem viele verschiedene Menschen mit verschiedenen Sprachen zusammenkommen. Welche Rolle spielt das Thema Sprache?

Das spielt eine ganz wichtige Rolle, weil es ja um die Aufhebung der babylonischen Sprachwirrung geht. Die Menschen verstehen sich in ihren verschiedenen Sprachen nicht. Es ist überhaupt ein ganz tolles biblisches Thema, das wiederzubeleben. Das ist für Schriftsteller natürlich auch ein Pfündchen, mit dem man wuchern kann. Das ist unser ureigenes Thema: Was stellen wir mit der Sprache an? Und was geschieht in verschiedenen Sprachen? Das ist hoch interessant.

Und Sprache ist auch immer ein identitätsstiftendes Merkmal!

Ja, unbedingt. Deswegen bin ich auch sehr dagegen, dass man versucht, den internationalen Roman zu konzipieren. Das ist eine schlappe Nummer. Man ist der eigenen Sprache und der eigenen Gesellschaft und dem eigenen Erleben verpflichtet. Das kann man nicht einfach von sich heraus internationalisieren. Das müssen die Übersetzungen tun, indem sie das anders wenden, den Text ganz anders wenden und in ihrer heimischen Sprache zugänglich machen. Aber das ist ein ganz anderer Vorgang, als unter der Fahne des Internationalismus zu schreiben. Davon halte ich gar nichts.

Die Villa Massimo in Rom (Foto: picture alliance/DUMONT Bildarchiv)
Die Villa Massimo in RomBild: picture alliance/DUMONT Bildarchiv

In dem Buch geht es also um Verständigung unter Menschen mit verschiedenen Sprachen. Vor diesem Hintergrund: Wie beurteilen Sie die Sprache Deutsch im Gegensatz zur Weltsprache Englisch?

Ich kann ja nur einen deutschen Roman schreiben. Das heißt, ich muss mich auch über diese Hürde hinweg bemühen, muss eine intelligente Lösung dafür finden, dass diese Leute in verschiedenen Sprachen reden. Aber ich muss trotzdem einen deutschen Roman schreiben. Ich kann ja nicht unendlich viele Leute in verschieden Sprachen quasseln lassen. Da geht mir jeder Leser sofort von der Fahne. Das funktioniert nicht. Also muss ich das ins Deutsche zurückbinden, muss aber das Geflacker der anderen Sprachen versuchen reinzubringen. Das ist übrigens eine schwierige Übung.

Heute ist es ja eher so - zumindest in Europa -, dass so schrecklich viele Länder ökonomisch in Misskredit gekommen sind und für die vielen jungen Leute keine Berufe bereit stellen können. Gerade jetzt ist das Deutsche unglaublich gut besucht in den ganzen Goethe-Instituten in Griechenland, in Spanien, in Portugal. Die sind rappelvoll, was sie jahrzehntelang - in Bezug auf Sprachunterricht - nicht waren.

Dante Alighieri circa 1450auf einem Fresco (Bild: http://commons.wikimedia.org/wiki/File:DanteFresco.jpg copyright: gemeinfrei)
Dante AlighieriBild: gemeinfrei

Kann man das auch spüren im Interesse an Kultur? Ist Kultur auch ein identitätsstiftendes Merkmal?

Ich würde unbedingt sagen, dass Europa da eine kulturelle Klammer hat. Auch über vielfältige Traditionen natürlich, über das römische Kaisertum, das deutsche Kaisertum, über die Habsburger, das hat ja eine sehr lange Geschichte. Überhaupt, die römische Antike hat eine verbindende Tradition gestiftet über viele Generationen und Jahrhunderte, die man schon als kräftig bezeichnen kann. Auch wenn sie im Einzelnen den modernen Menschen nicht mehr sehr bewusst ist. Das sind auch unbewusste Prozesse.

Man spricht ja heute auch von einem erweiterten Kulturbegriff. Was bedeutet für Sie Kultur?

Ich erweitere den Kulturbegriff nicht so arg gern, weil er dann so wässrig wird. Für mich sind das schon die traditionellen Bereiche, eben Literatur, Kunst, Theater, Musik etc. Aber nicht immer der Gesellschaftskörper, wie er gerade verfasst ist. Das nimmt dem Kulturbegriff im Übrigen auch ein bisschen den Saft, wenn man das so verwässert.

Das Interview führte Jochen Kürten.