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Leihen statt Besitzen

Carolina Machhaus28. Juni 2013

Deins ist meins: In Deutschland verleihen die Leute allerlei, von Gebrauchsgegenständen über Kleidung bis hin zur eigenen Wohnung. Warum ist das Leihen so beliebt? Eine Spurensuche rund um den geteilten Besitz.

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Ein junger mann, umringt von geliehenen Alltagsgegenständen, von Schlitten bis Rollerblades (Foto:Lifethek.de)
Leihen statt kaufen - ein Trend, der in Deutscland auf dem Vormarsch istBild: Lifethek.de

"Leihen gibt es eigentlich schon immer", erklärt Thekla Wilkening. Und damit hat sie nicht Unrecht. Denn schon früher hat man mal sein Auto oder den Werkzeugkasten an den Nachbarn verliehen. Heute allerdings verleiht man breiter: Man muss sich nicht unbedingt kennen, um Dinge auszutauschen.

"Kleiderei"-Inhaberinnen Thekla Wilkening und Pola Fendel (Foto: Denys Karlinskyy)
Kleider-Verleiher Thekla Wilkening und Pola FendelBild: Denys Karlinskyy

Thekla Wilkening hat, gemeinsam mit ihrer Freundin Pola Fendel, die "Kleiderei" in Hamburg gegründet. Dahinter verbirgt sich eine Art Erweiterung des persönlichen Kleiderschranks - mit einer Mischung aus Designer- und Flohmarktstücken. Auch Theklas' Oma hat ein paar modische Stücke dazugegeben. "Wir wollen hier eine Art Kleiderbibliothek erschaffen", erklärt die Studentin. Die Kundinnen sollen hier mit Kleidung experimentieren und ihren Stil festigen. Für einen überschaubaren monatlichen Mitgliedsbeitrag kann man vier Teile mit nach Hause nehmen und bis zu zwei Wochen behalten.

Das Leid, ständig Neues kaufen zu müssen

Seit der Gründung des Ladens im Stadtteil St. Pauli machen von dem Angebot immer mehr Frauen Gebrauch. Die Kundinnen der Konsumalternative sind modebewusste Studentinnen, Modeneulinge, die gerne die Beratung der beiden jungen Frauen in Anspruch nehmen, aber auch erfolgreiche Unternehmerinnen oder Künstlerinnen. "Gerade die sind es leid, sich ständig neue Kleidung kaufen zu müssen", erklärt Wilkening.

Auch die jungen Gründerinnen hat es gestört, dass sie ständig alles neu anschaffen mussten - für sie kam das einer Verschwendung gleich. Ähnlich sieht das auch Nikolai Wolfert, Gründer des ersten Leihladens "Leila" in Berlin. Nach fast einem Jahr hat "Leila" schon rund 300 Mitglieder. Möchte man Teil des Projektes werden, steuert man etwas Verleihbares bei und kann dann selbst leihen. Der Mitgliedsbeitrag ist freiwillig, reicht aber bisher für die Deckung der Mietkosten.

Wirtschaftliche und soziale Konsumalternative

Wolfert geht es mit seinem Leihladen nicht um Profit. Für ihn bietet der geteilte Besitz viele Vorteile - und die möchte er den Menschen in seinem Kiez näher bringen. "Man braucht weniger Geld, weniger Platz und man hat die Dinge, wenn man sie braucht, und nutzt sie bewusst." Sein Laden soll auch eine Brücke schlagen zwischen wirtschaftlichem und gesellschaftlichen Austausch. Die Menschen sollen in seinem Laden leihen, aber auch ins Gespräch kommen.

Nikolas Wolfert, Gründer des ersten Leihladens in Berlin "Leila" (Foto: Simon Stehle)
Nikolas Wolferts Leihladen hat bereits rund 300 MitgliederBild: Simon Stehle

Eine größere Distanz zwischen Leiher und Verleiher herrscht bei der Plattform "airbnb": Wer einen Urlaub plant, kann hier eine Privatwohnung mieten - samt Erinnerungsfotos an der Wand und privater CD-Sammlung. "Ich finde es spannend, kurze Zeit in einer 'echten' Wohnung zu leben und nicht in einem Hotel", erklärt Karin Roth, eine Deutsche, die in Australien lebt und nun zwei Wochen in Köln verbringt. Gerne wollte sie die Leute kennenlernen, deren Musiksammlung ihr so gefiel. Geklappt hat das leider nicht.

Der Imagewechsel des Leihens

In Deutschland hat sich Einiges getan: Noch vor Jahren war der Urlaub in einem fremden Heim in weiten Teilen der Bevölkerung undenkbar - und das Leihhaus galt als Inbegriff des sozialen Abstiegs. Heute hat das Leihen für die Ende 30-Jährigen einen höheren Wert, erklärt Professor Peter Wippermann, Trendforscher im Bereich Gesellschaft und Konsum. "Man sieht es als clever und smart an, wenn man weiß, wie man Dinge organisiert, um sich mehr leisten zu können, ohne dafür mehr Geld in die Hand nehmen zu müssen", erklärt der Gründer des Hamburger Trendbüros.

Professor Peter Wippermann , deutscher Trendforscher und Kommunikationsdesigner. (Foto: Peter Wippermann)
Wippermann: Beim Handy hört das Verleihen aufBild: Peter Wippermann
Eine Küche in Berlin (Foto: Rosalia Romaniec)
Zu Gast bei Fremden: auch Wohnungen werden verliehenBild: DW

So lebe ein Leiher gegenwärtig meist in Großstädten und sei ein sogenannter "digital native" - also einer, der mit dem Internet und den dazugehörigen Technologien aufgewachsen sei. "Je jünger die Menschen sind, desto häufiger leihen sie sich Dinge anstatt sie zu besitzen", stellt Wippermann fest. Das Prinzip hinter dem Trend scheint klar: Man leiht, um mehr zu haben. Konsumiert wird mit dem Geld, das übrig bleibt, meist trotzdem. Aber die Statussymbole hätten sich verändert...

Clevere Bescheidenheit als Alternative zum Verzicht

"Gerade für jüngere Menschen ist es wichtiger, ein Smartphone zu haben oder zu verreisen, als ein eigenes Auto zu kaufen", bestätigt auch Michael Minis, einer der Gründer der Online-Plattform "tamyca.de" - ein Marktplatz, auf dem man Privatautos leihen und verleihen kann. Beim Smartphone hört der Leih-Spaß aber auf, glaubt Peter Wippermann: "Denn wenn die Fernbedienung des Alltags nicht permanent für mich zur Nutzung bereit steht, dann falle ich teilweise aus meinen sozialen Beziehungen." Und dieses Risiko geht man in Zeiten digitaler und mobiler Kommunikation nicht gerne ein.

So bleibt das Leihen ein Trend für besonders junge Menschen. Sie wachsen damit auf und fassen den gezielten Konsum und den ausgewählten Besitz als natürlich auf. "Das wird sich aber in Zukunft weiter in den Bauch der Gesellschaft hinein entwickeln", meint Trendforscher Wippermann. Der gesellschaftliche Austausch und die gewonnene Vielfalt sind dabei klare Vorteile des noch jungen Konsumwandels. Tehkla Wilkening, mit ihrer Kleiderei ein Teil des Wandels, erklärt das so: "Man gründet später Familie, man ist viel länger frei und flexibel - da macht es keinen Sinn, Sachen anzuhäufen. Im Gegenteil - man ist froh, je weniger man hat." Clevere Bescheidenheit.