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Leiden in Rosa

Tom Mustroh17. Mai 2013

Husten, Keuchen, erste Ausfälle – der Giro d’Italia fordert die Rennfahrer über das Erwartete hinaus. Titelverteidiger Ryder Hesjedal und Top-Favorit Bradley Wiggins haben gar schon aufgegeben.

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Bildnummer: 13615085 Datum: 17.05.2013 Copyright: imago/Sirotti 2013, Giro d Italia, tappa 10 Cordenons - Altopiano del Montasio, Astana 2013, Nibali Vincenzo PUBLICATIONxNOTxINxITAxFRA ; Radsport Rad Strasse Giro dItalia d Italia 10 Etappe xdp x0x 2013 quer Image number 13615085 date 17 05 2013 Copyright imago Sirotti 2013 Giro D Italia Tappa 10 Altopiano DEL Astana 2013 Nibali Vincenzo PUBLICATIONxNOTxINxITAxFRA Cycling Wheel Road Giro ditalia D Italia 10 Stage x0x 2013 horizontal
Giro d' Italia Astana-Kapitän Vincenzo NibaliBild: imago/Sirotti

Die Ursachen für die Erschöpfungszustände sind zahlreich. Der Giro ist bekannt für steilere Anstiege als sie die Tour de France aufweist. Die Rennfahrer sind aggressiver. Das Rennen ist deshalb weniger kalkulierbar. Und oft schlägt auch das Wetter im Mai seine Kapriolen. Bei der 14. Etappe am Samstag nach Sestriere ist sogar Schnee angesagt. "Wenn du hier die Ziellinie überquerst, dann betest du und dankst, dass du immer noch hier bist", sagte Bradley Wiggins, als sich sein Hier noch auf den Giro bezog. Kurz vor der 13. Etappe warf er aber das Handtuch und flog nach England zurück. Sein Team trug es mit Fassung. "Was soll man enttäuscht sein. Krank ist krank", kommentierte Teamgefährte Christian Knees lakonisch den Abschied seines Kapitäns.

Schleichender Niedergang

Der hatte sich in Raten angekündigt. An mehreren Tagen verlor Wiggins Zeit. Auf der 12. Etappe machte er sogar an einem Berg schlapp, über den die Sprinter leichten Tritts geflogen waren. Dabei waren nicht einmal die so recht in Schuss, zumindest, wenn man Christian Knees glaubt: "Irgendwie sind alle krank momentan, bei allen Teams. Wir sind bei 35 Grad gestartet. Dann kommt man in den Regen. Und das öfter. Das ist natürlich auch eine ganz schöne Anstrengung für den Körper."

Fährt nicht - wie sonst - vorne weg: Bradley Wiggins eingekeilt. (m.).Foto: AP /Fabio Ferrari
Fährt nicht wie sonst vorne weg: Bradley Wiggins (m.).Bild: imago/Sirotti

Wiggins habe die Infektion aber stärker zugesetzt als den meisten anderen, versichert Knees. Das liegt auch daran, dass ein Kapitän sich niemals schonen kann. "Ich hatte selber eine Erkältung und weiß, wie schlimm das ist, weiterzufahren. Ich bin jemand, der dann mal einen Tick locker lassen kann. Das kann man als Leader aber nicht. Er ist immer noch hart reingegangen, trotzdem", zollt der Bonner dem Londoner Respekt.

Die Rückstände von Wiggins noch vor seiner Erkältung, seine unsichere Fahrweise bei Abfahrten und der verpasste Sieg beim Einzelzeitfahren lassen aber darauf schließen, dass der Toursieger den Giro vielleicht doch unterschätzt hatte. Auf alle Fälle ist sein Plan, mit einem Giro-Sieg auch wieder die Kapitänsrolle bei der Tour de France zu reklamieren, hinfällig geworden.

Paradoxe Auswirkungen

Für den Giro stellt der Ausstieg Wiggins' eine kleine Katastrophe dar. Der Toursieger und Olympiasieger war das internationale Aushängeschild für die Italienrundfahrt. Jetzt läuft alles auf den Kampf eines Italieners gegen einen früheren Toursieger im Karriereherbst, einen zum Chef geadelten Helfer und ein ewiges Talent hinaus: Astana-Kapitän Vincenzo Nibali. Der Gesamtführende im Rosa Trikot hat es selbst in der Hand, den Australier Cadel Evans, Wiggins' Nachfolger bei Sky Rigoberto Uran, und den Holländer Robert Gesink auf Distanz zu halten. Das hat, zumindest auf dem Papier, wenig Spektakel zu bieten.

Mal 35 Grad, dann kalter Regen: Der Giro d'Itlia ist eines der härtesten Radrennen. Foto: LUK BENIES/AFP/Getty Images)
Mal 35 Grad, dann kalter Regen: Der Giro d'Itlia ist eines der härtesten Radrennen.Bild: LUK BENIES/AFP/Getty Images

Paradoxerweise könnte der Giro durch den Ausstieg von Wiggins an Spannung aber sogar noch gewinnen. Sky-Teamchef Dave Brailsford versprach jedenfalls eine Abkehr von der alten Abwartetaktik seiner Mannschaft: "Ich denke, wir haben immer noch Möglichkeiten. Wir haben ein starkes Kletterteam. Das ist etwas, was wir als Vorteil nutzen können. Da ändert sich nicht soviel. Aber klar ist, wir werden jetzt nicht mehr defensiv oder konservativ fahren. Wir werden sehen, was wir offensiv machen können." Und auch der neue Frontmann bei Sky, Rigoberto Uran, deutet Veränderungen im Matchplan an: "Ja, er ändert sich. Die Mannschaft fühlt sich gut. Es kommen Bergetappen. Und klar werden wir versuchen zu attackieren."

Erschöpfung als Preis für neugewonnene Spannung

Vergessen sollten die neugeborenen Angreifer im britischen Rennstall aber nicht, dass dieser Giro d'Italia mehr Kräfte kostet, als vorher eingeplant. Sogar bei Mannschaften, die mit der Gesamtwertung nichts zu tun haben und sich auch bei Attacken auf den Etappen merklich zurückhalten, ist die Erschöpfung zu spüren. Stefano Zanatta vom Team Cannondale: "Was bislang am schwersten gewogen hat, sind die Transfers zum Hotel. Das Wetter war auch keine Hilfe. Bei solchen Regentagen verbrennt man mehr Energie als sonst. Und dann gab es einige schwierige Tage, weil das Feld sehr nervös war. Es gibt jetzt viele Kranke im Peloton."

Das Husten und Keuchen, das von Tag zu Tag in den Zielorten stärker zu hören ist, bestätigt diese Beobachtung. Der Giro d'Italia fordert die Fahrer immens. Bis an die Grenze des Erträglichen, vielleicht sogar schon darüber hinaus. Ergebnis sind aber spannende Etappen, bei denen sich die Favoriten duellieren und bei denen selbst die Sprinterteams nicht sicher sein können, die Ausreißer noch rechtzeitig einzufangen. Gesundheitsschonend ist der Radsport in der Post-Epo-Ära wahrlich nicht. Besser anzusehen auf alle Fälle und doch bleiben die Zweifel: Denn der französische Radprofi Sylvain Georges sorgte für den ersten Dopingfall des Giro. Bei ihm wurde das verbotene Stimulanzmittel Heptaminol gefunden. Er habe das rezeptfreie Ginkor Fort genommen, "die Packungsbeilage nicht gelesen und keine Rücksprache mit dem Teamarzt gehalten. Das war dumm", erklärte der Ertappte später. Eine Ausrede wie sie im Radsport schon so oft zu hören war. Die Leistungen beim Giro sind groß, die Zweifel an ihrem Zustandekommen leider ebenfalls.