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In der Schattenwelt

14. Dezember 2011

Illegale Einwanderer bewegen sich immer am Rand der persönlichen Katastrophe. In Köln ist die Verwaltung bemüht, die schlimmsten Notlagen abzumildern. Doch ein Paradies für Papierlose ist auch Köln nicht.

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Sunday - hier in der Kölner Martin-Luther-Kirche - ist seit sechs Jahren illegal (Foto: DW)
Sunday - hier in der Kölner Martin-Luther-Kirche - ist seit sechs Jahren illegalBild: DW

Seit sechs Jahren lebt Sunday nun illegal in Deutschland oder, wie er selbst es nennt, in der "Schattenwelt". Wenn es gut lief, hatte der westafrikanische Akademiker irgendeinen Drei-Euro-Hilfsjob und einen 200-Euro-Schlafplatz auf dem Wohnzimmersofa eines Landsmanns. Wenn es schlecht lief, sammelte er leere Pfandflaschen und schlief unter Brücken. Einmal wurde er um den Lohn von mehreren Wochen Arbeit betrogen; ein anderes Mal hatte er wegen einer Allergie Atemnot, aber keine Krankenversicherung. Schließlich wandte er sich an die Kölner Martin-Luther-Kirche, die ihn derzeit unterstützt. "Wenn man illegalisiert lebt, muss man immer kämpfen", sagt Sunday. Fast hätte er verloren: Zwei Selbstmordversuche hat er hinter sich. Die persönliche Katastrophe ist nie weit weg, wenn man zu den 700.000 bis 1,5 Millionen Menschen in Deutschland gehört, die keine Papiere haben.

Eine Demonstrantin pustet vor dem Amtsgericht in Frankfurt einen Ballon mit der Aufschrift "Kein Mensch ist illegal" auf (Foto: dpa)
Protest gegen AbschiebungenBild: picture-alliance / dpa


In der westdeutschen Großstadt Köln ist man bemüht, dies abzumildern. "Es geht dabei nicht darum, irreguläre Migration zu erleichtern", sagt Andreas Vetter vom Interkulturellen Referat der Stadt. "Der Gedanke ist: Die Gesellschaft kann es nicht zulassen, dass Menschen krank werden und in Hinterzimmern sterben oder dass Kinder nicht zur Schule gehen."

Wer sind die Illegalen?

Es waren die Kirchen, die das Thema über den "Runden Tisch für Flüchtlingsfragen" in den Fokus rückten. Dieses Gremium, in dem auch Parteien, Stadtverwaltung, Polizei und zivilgesellschaftliche Organisationen vertreten sind, berät Verwaltung und Stadtrat. Um das Thema Illegale überhaupt erst einmal zu verstehen, beauftragten die Beteiligten das Osnabrücker Institut für Migrationsforschung mit einer Studie zur Situation in Köln.

"Wir haben festgestellt, dass man überhaupt nicht von 'den Illegalen' sprechen kann, weil das eine sehr heterogene Gruppe ist", sagt Maren Wilmes, die an der Untersuchung beteiligt war. Zu den irregulären Einwanderern gehört der abgelehnte Asylbewerber, der versucht sich durchzuschlagen ebenso wie die pflegebedürftige Seniorin, die von ihren Kindern nach Deutschland geholt wurde oder der Studienabbrecher, der sich nicht als Gescheiterter bei seiner Familie blicken lassen kann.

Die Studie gab eine Reihe von Empfehlungen, von denen viele inzwischen umgesetzt sind. So wurde etwa die Gesundheitsversorgung verbessert, die Kirchen sorgten für Notunterkünfte und die Standesämter stellen in der Illegalität geborenen Kindern vorläufige Geburtsurkunden aus. Ein Schwerpunkt war die Verbesserung des Beratungsangebotes.  

Körperlich und psychisch am Ende

Unter den fünf Beratungseinrichtungen, die nun insgesamt 40.000 Euro erhalten, ist auch die des evangelischen Wohlfahrtsverbandes Diakonisches Werk. Die Leiterin Martina Domke und ihre Mitarbeiterinnen können dank  der verbesserten Rahmenbedingungen oft helfen. So ist es für Illegale inzwischen kein Problem mehr, ihre Kinder an einer Schule anzumelden. Bei einfach zu behandelnden Krankheiten können die Berater auf die Malteser Migranten-Medizin und das Gesundheitsamt verweisen.

Sprechstunde bei der Malteser Migranten-Medizin (Foto: DW)
Sprechstunde bei der Malteser Migranten-MedizinBild: DW/ Dennis Stute


Doch die Grenzen sind schnell erreicht. "Viele Menschen landen bei mir, weil sie am Ende sind", sagt Domke. Die ständige Angst und Erpressbarkeit sei eine enorme psychische Belastung und auch körperlich gehe es irgendwann nicht mehr weiter. "Als Papierloser müssen Sie immer arbeiten - und nicht in den leichtesten Jobs", sagt Domke. "Was machen Sie, wenn Sie krank sind? Wenn Sie alt sind?" Hat jemand diesen Tiefpunkt erreicht, kann Domke meist nur noch die Ausreise empfehlen. Denn eine Legalisierung - etwa über einen Asylantrag - ist so gut wie ausgeschlossen. Zuweilen gelingt es Domke zwar, ein Bleiberecht aus humanitären Gründen für ihre Klienten zu erwirken – doch das ist oft mit Umständen verbunden, die sich niemand wünscht. "Wer schwer krank ist - zum Beispiel Krebs hat oder HIV-positiv ist - und im Heimatland nicht behandelt werden könnte, kann bleiben", erklärt Domke.

Claus-Ulrich Prölß, Geschäftsführer des Kölner Flüchtlingsrates (Foto: DW)
Claus-Ulrich Prölß, Geschäftsführer des Kölner FlüchtlingsratesBild: DW


Claus-Ulrich Prölß, Geschäftsführer des Kölner Flüchtlingsrates, hält die Hürden für zu hoch und fordert Gesetzesänderungen. "Es müsste überlegt werden, wie Menschen, die hier leben, legalisiert werden können. Das fehlt bisher komplett", sagt er. Immerhin hätten Städte und Gemeinden auch innerhalb der bestehenden Regelungen einen großen Spielraum, um die Lebensbedingungen der Papierlosen zu verbessern – und der werde in Köln vorbildlich genutzt.

Hilfe in der Grauzone

Oft bewegen sich die Beteiligten in der Grauzone zwischen Beratung, legitimer Unterstützung und der strafbaren "Beihilfe zum illegalen Aufenthalt". "Manches ist eben nicht hundertprozentig juristisch abzusichern", sagt Andreas Vetter von der Stadt Köln. "Dann ist auch Zivilcourage gefragt." Einiges geschieht inoffiziell, aber durchaus systematisch.

Polizeistreife vor dem Kölner Dom (Archivbild von 2010: dpa)
Polizeistreife vor dem Kölner Dom (Archivbild von 2010)Bild: picture alliance / dpa


Der flexible Umgang mit dem Problem ist auch der Tatsache zu verdanken, dass alle betroffenen Behörden und Institutionen mit am Runden Tisch für Flüchtlingsfragen sitzen. Genau diese Vernetzung hat nach Einschätzung der Beteiligten dazu geführt, dass die Situation von Illegalen in Köln in vielerlei Hinsicht besser ist als anderswo. Zugleich macht der Runde Tisch die Papierlosen sichtbar. "Wenn sich irgendeine Problemlage aufbauen würde, käme am Runden Tisch sofort die Rückmeldung von den Beratungsstellen: ,Hier ist Handlungsbedarf'", sagt Andreas Vetter.

Doch auch in Köln können Illegale kein normales Leben führen. Wer hart im Nehmen ist, Netzwerke aufbaut und vor allem viel Glück hat, kann sich auch in der Illegalität über Wasser halten – doch es bleibt, so das Fazit von Sunday, ein Leben auf Messers Schneide. "Eine Illegalität, die lange dauert, ist tödlich", sagt Sunday. "Irgendwann geht es nicht mehr weiter."

Autor: Dennis Stute

Redaktion: Andrea Grunau