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Lauschangriff empört Lateinamerika

Jan D. Walter5. September 2013

Brasilien und Mexiko hatten scharf auf die Ausspähung ihrer Präsidialämter durch die NSA reagiert. Auf dem G20-Gipfel hat Präsident Obama nun mit den Präsidenten beider Länder gesprochen.

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Enrique Pena Nieto und Dilma Rousseff in Brasília, 9.7. 2013 (Foto: EFE)
Bild: picture-alliance/dpa

Auf dem G20-Gipfel in Sankt Petersburg sah sich US-Präsident Obama gleich mehreren Fronten gegenüber. Hatte er hinsichtlich eines möglichen Militärschlags in Syrien vielfache Überzeugungsarbeit zu leisten, so musste er zugleich die inter-amerikanischen Beziehungen pflegen. Denn gleich zwei lateinamerikanische Staatschefs, die Brasilianerin Dilma Rousseff und der Mexikaner Enrique Peña Nieto, hatten beim US-Präsidenten auf Aussprache gedrängt. Wie nämlich kurz zuvor bekannt geworden war, wurden beide in großem Stil von der NSA abgehört. Der US-Geheimdienst soll ihre persönlichen Telefongespräche, SMS und E-Mails ausspioniert haben. Diesen Schluss legt eine brasilianische Fernseh-Dokumentation nahe, die am Sonntag (01.09.2013) geheime Unterlagen zeigte, die der Journalist Glenn Greenwald vom ehemaligem NSA-Mitarbeiter Edward Snowden erhalten haben will.

Spionage keine Überraschung

Die Empörung war groß, beide Staatsoberhäupter bestellten den jeweiligen US-Botschafter ein und verlangten umgehend Aufklärung sowie offizielle Stellungnahmen der US-Regierung zu den Vorwürfen. Damit reagierten sie heftiger als die europäischen Regierungschefs, als vor einigen Wochen klar wurde, dass die NSA den europäischen Datenverkehr umfangreich überwacht.

Der Journalist Glenn Greenwald in Rio de Janeiro 9.7. 2013 (FOTO: REUTERS)
Brachte die NSA-Affäre in Brasilien ins Rollen: der Journalist Glenn GreenwaldBild: Reuters

Dies mag verwundern, denn nach den Enthüllungen über die NSA-Tätigkeiten in Europa lag es nahe, dass US-Geheimdienste auch Lateinamerika überwachen, nicht nur, weil sie dort mit Zustimmung der jeweiligen Regierungen diverse Überwachungszentren eingerichtet haben, zum Beispiel für den Kampf gegen Drogenkriminalität.

"Lateinamerikanische Länder sind daran gewöhnt, dass die USA ein sehr großes Informationsinteresse an den Entwicklungen dort haben", erklärt der Politikwissenschaftler Günther Maihold, Inhaber des Humboldt-Lehrstuhls in Mexiko-Stadt.

Anti-amerikanische Rhetorik

Dem stimmt auch Felix Dane, Leiter der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) in Rio de Janeiro, zu. Doch er hat Verständnis für die Verstimmung: "Natürlich ändert das nichts daran, dass es einen Grund gibt, sich bei den USA zu beschweren."

Peña Nieto und Rousseff finden deutliche Worte, obwohl eine Überwachung fast schon zu erwarten war. Denn die jahrzehntelange "Hinterhofpolitik" der USA, mit der sie lateinamerikanische Regierungen stützten und stürzten, erzeugte dort eine weit verbreitete Abneigung gegen den großen Bruder im Norden.

"Heute herrscht in Lateinamerika eine stark auf nationale Souveränität und Autonomie abzielende Außenpolitik vor", so Günther Maihold. Dabei gehe es nicht um Isolation, sondern um eine Partnerschaft auf Augenhöhe. Gleichwohl könnten viele lateinamerikanische Politiker nicht widerstehen, den latenten bis offenen USA-Groll ihrer Wähler für sich zu nutzen, meint KAS-Leiter Dane: "Rhetorisch spielt die brasilianische Regierung gerne die Karte des 'Anti-Imperialismus', faktisch handelt sie dann ganz anders."

Protest gegen die USA in Mexiko nach erzwungener Zwischenlandung von Boliviens Präsident Morales in Wien, 4.7. 2013 (Foto: AFP/Getty Images)
Jederzeit abrufbar: US-kritische Regungen in LateinamerikaBild: Ronaldo Schemidt/AFP/Getty Images

Blitzableiter für interne Probleme

Dieses As, das Snowden und Greenwald ihnen nun zugespielt haben, kommt sowohl Rousseff als auch Peña Nieto durchaus gelegen, um von internen Problemen abzulenken: In Brasilien demonstrieren seit drei Monaten nahezu täglich Menschen gegen soziale und politische Missstände, und auch Peña Nieto hat einen schweren Stand: Schon bei seiner Wahl gingen in Mexiko Anhänger der Opposition auf die Straße.

Doch bisher sticht der Trumpf nicht. In Mexiko eskalieren die Protesten gegen geplante Energiereformen und für kommenden Samstag (07.09.2013), Brasiliens Nationalfeiertag, sind große Kundgebungen geplant – gegen die eigene, nicht die US-Regierung. Der brasilianische Außenminister a. D. Luiz Felipe Lampreia bringt in seinem Blog eine Vermutung auf den Punkt: "Erschreckender als die Enthüllungen von Edward Snowden ist der Versuch der Regierung Dilma Rousseff, die Wut der Gesellschaft nach Washington umzuleiten.“

Beschwichtigungsversuche in Sankt Petersburg

Dieser Wut hat Präsident Obama nun die Luft aus den Segeln zu nehmen versucht. Am Rande des G-20-Gipfels sprach er sowohl mit Dilma Rousseff wie auch mit Enrique Peña Nieto. "Er hat mir deutlich erklärt, dass auch er an einer Aufklärung interessiert sei", berichtete Peña Nieto in einem Interview mit dem mexikanischen TV-Sender Televisa von seinem Gespräch mit Obama. Auch der US-Präsident wolle verhindern, "dass das Thema die Beziehungen belastet, die wir gerade ausbauen."

Auch mit Dilma Rousseff sprach mit Obama, allerdings wurden über das Gespräch keine Einzelheiten bekannt. US-Sicherheitsberater Ben Rhodes erklärte allerdings, Washington wolle den Streit durch "diplomatische und geheimdienstliche Kanäle" beilegen. "Wir verstehen, wie wichtig das Thema den Brasilianern ist. Wir werden uns darauf konzentrieren, den Brasilianern zu erklären, welcher Art unsere Geheimdienstarbeiten sind", so Rhodes weiter. Dazu hat die brasilianische Regierung der US-Administration Zeit bis zu diesem Freitag gegeben. Bis dahin, so ihre Forderung, muss in Brasília ein umfassender Bericht über die Aktivitäten der NSA in Brasilien vorliegen. Dilma Rousseff behält sich einstweilen vor, einen für Oktober geplanten Staatsbesuch in den USA abzusagen.