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Lampedusa – der Makel Europas

Karl Hoffmann20. Dezember 2013

Eine kleine europäische Insel nahe der afrikanischen Küste wurde zum Inbegriff für Flüchtlingstod und Flüchtlingselend. Längst steht auch fest: Im Auffanglager von Lampedusa wird die Menschenwürde verletzt.

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Flüchtlinge Lampedusa Skandal (Screenshot)
Bild: picture-alliance/ROPI

Die meisten Lampedusaner wollen über das skandalöse Video nicht reden, das europaweit die Runde machte. Dabei sind viele Bewohner der kleinen Insel entsetzt über das, was die Bilder aus dem inzwischen berüchtigten Aufnahmelager zeigen: Nackte Menschen, Männer wie Frauen, die unter freiem Himmel mit Entlausungsmitteln besprüht werden – das ist eine klare Verletzung der Menschenwürde. Mario Liberatore und seine Frau Maria betreiben ein kleines Hotel: „Es gibt doch genügend Ärzte und Krankenpfleger im Lager, die sollten sich um die Menschen kümmern wie es sich gehört. Wer das zu verantworten hat, der muss seinen Hut nehmen“, sagen sie.

Lagerleiter Cono Galipò und einige seiner Mitarbeiter wurden inzwischen vom Dienst suspendiert. Weil die dramatischen Verhältnisse im Lager von Lamepedusa einmal mehr ins Scheinwerferlicht geraten sind, wird nun eiligst aufgeräumt. Bis zuletzt waren dort anstelle der erlaubten 260 mehr als 500 Menschen einschlossen. Knapp zweihundert von ihnen wurden nun mit einem Sonderflug nach Sizilien gebracht.

Der streng bewachte Eingang des Lagers von Lampedusa (Foto: DW/ K. Hoffmann)
Der streng bewachte Eingang des Lagers von LampedusaBild: DW/K. Hoffmann

Auf engstem Raum zusammengepfercht

Die dauernde Überfüllung des vor zweieinhalb Jahren teilweise abgebrannten Auffanglagers sei einer der Gründe für die im Video gezeigten Zustände, verteidigen sich die inzwischen geschassten Verantwortlichen. Tatsächlich wurde der zerstörte Trakt trotz ständig neuer Flüchtlingsboote nicht wieder aufgebaut. In den verbliebenen Schlafräumen hatte man die Stockbetten entfernt. Die Eisenteile, so die Begründung der Behörden, könnten von den Migranten bei denkbaren Revolten als Waffen missbraucht werden. In der nicht selten mit bis zu Tausend Menschen belegten ehemaligen Militärkaserne schlafen die Insassen auf eng aneinandergereihten Matratzen. Wenn der Platz in den noch übrig gebliebenen Gebäuden nicht ausreicht, müssen sie auch unter Plastikplanen im Freien übernachten. So wie bei der jüngsten Migrationswelle Anfang Oktober.

Damals erreichten etwa 1500 Flüchtlinge Lampedusa lebend. Allein 366 Menschen ertranken, als ihr Boot direkt vor der Hafeneinfahrt kenterte. In Italien und im restlichen Europa herrschte in diesen Tagen tiefste Betroffenheit. Vertreter der EU und der italienischen Regierung standen sichtlich gerührt vor der schier endlosen Sargreihe. Das, so die Bürgermeisterin Giusy Nicolini, sei ja noch verständlich. Doch nach den Tränen hätte es auch konkrete Reaktionen geben müssen. Gebessert habe sich dagegen nichts.

Die Reste des gekenterten Flüchtlingsbootes vor dem Bootsfriedhof in Lampedusa (Foto: DW/ K. Hoffmann)
Die Reste des gekenterten Flüchtlingsbootes vor dem Bootsfriedhof in LampedusaBild: DW/K. Hoffmann

„Das Asylrecht ändern“

Die Bürgermeisterin von Lampedusa hält es für dringend geboten, weitere halsbrecherische Flüchtlingstransporte in überfüllten Fischkuttern zu verhindern. Dazu bedürfe es jedoch einer Änderung des Asylrechts und eines sicheren Zugangs für Flüchtlinge nach Europa. Wer dann immer noch nach Lampedusa komme, müsse schnellsten von der kleinen Insel weggebracht werden. Innerhalb von 72 Stunden, wie es das Gesetz vorschreibt. Stattdessen bleiben viele Immigranten noch wochenlang in diesem Lager.

Aber auch andernorts ist die Situation dramatisch. Im Lager für Asylbewerber von Mineo im Herzen Siziliens gibt es immer wieder Proteste, weil sich die Bearbeitung der Asylanträge unendlich in die Länge zieht. Inzwischen dauert es rund zwei Jahre. Das Lager, das maximal 2000 Menschen aufnehmen kann, ist derweil mit über 4000 Immigranten hoffnungslos überfüllt. Für die Insassen sei das ein Drama, erzählt Peter Sunday aus Nigeria, der seit fünf Monaten hier lebt. Morgens gehe das Essen noch einigermaßen, sagt er. Aber mittags und abends sei es schlichtweg ungenießbar: „Ich habe oft Magenschmerzen“, sagt Peter. Dafür bekomme er dann ab und zu eine Parazetamol-Tablette.

Peter Sunday aus Nigeria klagt über ungenießbares Essen im Lager Mineo (Foto: DW/ K. Hoffmann)
Peter Sunday aus Nigeria klagt über ungenießbares Essen im Lager MineoBild: DW/K. Hoffmann

Gute Geschäfte auf dem Rücken der Ärmsten

Was für die Immigranten tägliches Leiden bedeutet, ist für die Lagerverwalter der reine Geldsegen. Durchschnittlich zahlen der italienische Staat und die EU etwa 40 Euro täglich pro Immigrant für Unterkunft, Verpflegung, Medikamente und ein geringes Taschengeld. Die Gewinnspannen für die im Auftrag des italienischen Innenministeriums in den Lagern tätigen Organisationen sind enorm. Sie vergeben begehrte Aufträge an Zulieferer, schaffen Arbeitsplätze in den Lagern und sichern sich damit auch Wählerstimmen. Zur Not auch auf dem Rücken der Immigranten.

Zwei Jahre Warten auf den Asylbescheid (Foto: DW/ K. Hoffmann)
Zwei Jahre Warten auf den AsylbescheidBild: DW/K. Hoffmann

Für die fremdenfeindliche Lega Nord ist das absolut zulässig: Wenn ihnen die italienischen Verhältnisse nicht passten, dann könnten die Menschen ja gerne wieder gehen, lautet ihr provozierender Kommentar.