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Lässt uns körperliche Nähe gesund werden?

4. März 2015

Ein Interview mit Prof. Dr. med. Ralf Nickel darüber, wie Berührungen die Genesung beeinflussen und warum Körperkontakt das Wohlbefinden verbessert.

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Ralf Nickel Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie in Wiesbaden
Bild: Dr.-Horst-Schmidt-Kliniken Wiesbaden

DW: Können Berührungen die Genesung nach einer Krankheit vorantreiben?

Prof. Dr. med Ralf Nickel: Ja. Körperliche Nähe von vertrauten Menschen wirkt sich positiv auf Heilungsprozesse aus. Durch die Berührung der Haut wird Stress reduziert. Unser Schmerzempfinden wird verringert, wenn uns ein nahestehender Mensch die Hand hält. Und wenn die Haut berührt wird, reagiert das Immunsystem sehr stark. So werden Botenstoffe, wie etwa Cortisol, die das Immunsystem dämpfen und die Immunreaktion abschwächen, durch Berührung der Haut gemildert. Die Ausschüttung von Botenstoffen, die das Immunsystem stärken, wird sogar deutlich gefördert und darüber auch die Heilung von vielen Krankheiten und Beschwerden. Es gibt sehr wenig, was besser zu Entspannung führt, als eine wohltuende, warme Berührung eines vertrauten Menschen
Zudem trägt Zuneigung zur Beruhigung bei. Der Körperkontakt sollte jedoch nicht ausschließlich einseitig sein – Berührung ist immer ein Wechselspiel zwischen zwei Menschen. Der Kontakt mit Tieren kann sich ebenfalls positiv auswirken. Ersetzen kann er den menschlichen Körperkontakt aber nicht.

Brauchen alle Menschen gleich viel Nähe?

Wie viel Nähe ein Mensch braucht und zulassen kann, entscheidet sich hauptsächlich in den ersten zwölf bis 18 Lebensmonaten. Im Laufe des Lebens kommt es zwar zu Veränderungen und man sammelt weitere Körperkontakt-Erfahrungen, aber immer auf der Basis dieser ersten Monate. Wenn die Eltern ausreichend feinfühlig auf das Kind eingegangen sind und es viel Zuneigung bekam, wird es im Erwachsenenalter Körperkontakt wahrscheinlich positiv annehmen. Spätere einschneidende Erlebnisse, wie beispielsweise körperliche Misshandlungen oder ein sexueller Missbrauch können aber dazu führen, dass Nähe plötzlich als unerträglich empfunden wird. Dann kann eine Behandlung helfen, sich langsam wieder an Berührungen zu gewöhnen.

Warum verbessert Körperkontakt das Wohlbefinden?

Über den Austausch von Nähe wird in der Regel eine angenehme Atmosphäre geschaffen. Es kommt zur Ausschüttung von das Wohlbefinden stärkenden Botenstoffen wie zum Beispiel Dopamin, dem so genannten Glückshormon und Oxytocin, dem Bindungshormon. Wie Körperkontakt empfunden wird, hängt von den Körperkontakt-Erfahrungen jedes einzelnen Menschen ab. Ein positiver Effekt entsteht in der Regel bei Menschen, die sich nahe stehen. Die Basis dafür, wie wir Berührungen aufnehmen, liegt bereits im frühen Kindesalter. Körperkontakt ist nicht nur die Berührung der Haut, es geht auch um den Geruch, der aufgenommen wird, Wärme und weitere Botenstoffe, die ausgetauscht werden. Untersuchungen zeigen, dass wir ganz ohne körperliche Nähe nicht überleben können.

Reagiert der Körper auf jeden Kontakt gleich?

Der Kontext, in dem der Körperkontakt entsteht, spielt eine wichtige Rolle für das Empfinden des Einzelnen. Wenn etwa zwei gute Freunde sich zum Abschied umarmen, ist das eine vertraute Situation und führt eher zur Ausschüttung von Glücks- und Bindungshormonen, als die Berührung eines Fremden. Bei zurückhaltenden, introvertierten Menschen kann eine Umarmung von einem Fremden Stress auslösen. Bei Körperkontakt ist immer entscheidend, wie die beiden sich Berührenden zueinander stehen.

Prof. Dr. med. Ralf Nickel ist Direktor der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie an den HSK, Dr. Horst Schmidt Kliniken in Wiesbaden. http://www.hsk-wiesbaden.de/

Interview: Dorothee Grüner