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Kunst gegen Angst

Aya Bach10. Dezember 2012

In Johannesburg trauen sich viele Menschen längst nicht in jedes Viertel. Auch nach der Apartheid ist die Stadt gespalten: in schwarz und weiß, arm und reich. Das Goethe-Institut setzt ein Kunstprojekt dagegen.

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Auf einem Pfosten aufgepflanztes Autowrack mit der Aufschrift 'Rent a Wreck' (Foto: Aya Bach)
Bild: DW/Aya Bach

Ein Schrottauto, hoch über den Köpfen aufgepflanzt wie ein Fanal, lädt zu einer zweifelhaften Miete ein: "Rent a Wreck" heißt der Autoverleih in der Innenstadt. "Das ist ein vergessener Teil von Johannesburg", sagt der Taxifahrer, als er mich herbringt und die Adresse sucht. Wir kurven zwischen zerfledderten Hausfassaden und Mülltüten herum. Noch vor zwei Jahren wurde ich davor gewarnt, als Weiße in dieser Gegend herumzulaufen. Was ich hier will? Am Wrack-Verleih beginnt eine ungewöhnliche Stadterkundung. Nicht für mutige Touristen konzipiert, sondern für Johannesburger: "United African Utopias" nennt sich das Performance-Projekt.

Ein bunt gemischtes Kulturpublikum, ältere und jüngere, dunkel- und hellhäutige Menschen, macht sich auf den Weg. Zwei Darstellerinnen mit goldfarbenen Gewändern und japanischen Schirmchen führen uns zu Fuß durch die Innenstadt, durch Straßen, in die Weiße sich nur selten trauen. Ausstaffiert mit knallbunten Designer-Radios sind wir in einen Soundtrack gehüllt, der als akustische Narren- und Tarnkappe dient. Dann und wann tauchen wie aus dem Nichts maskierte Gestalten auf. Der Weg führt vorbei an Klamottenläden, Flip-Flop-Verkäufern am Straßenrand, Werbung für Penisvergrößerungen und 30-Minuten-Abtreibungen. Wir lassen gierig die Blicke schweifen, fotografieren ungehemmt. Die City-Bewohner nehmen unseren seltsamen Auftritt gelassen hin. Niemand wird beklaut oder angeraunzt. Eigentlich, so die Quintessenz, kann man sich hier ganz normal bewegen.

Eine bunt gemischte Gruppe von Kultur-Interessierten zieht mit zwei goldfarben gekleideten Performern durch die Innenstadt von Johannesburg (Foto: Aya Bach)
Seltsamer Anblick: Performer und Teilnehmer der "Utopias"-TourBild: DW/Aya Bach

Aus einem Geisterhaus

Ein bisschen später wühlen wir uns durch das Carlton Centre, das in den 70er Jahren als höchster Wolkenkratzer Afrikas gebaut wurde - damals ein Prestigebau samt Luxushotel. Übriggeblieben ist ein überquellendes Einkaufszentrum für weniger Betuchte, das Hotel steht leer, der Eingang ist zugemauert. Der Aufzug spuckt uns auf einer gespenstisch verlassenen Etage des Riesenbaus aus. Ein geheimnisvoller Akkordeonspieler schickt ein paar melancholische Töne in die Stille, verschwindet wieder. Dann stehen wir ganz im Dunkeln, es riecht stickig, dumpf. Allmählich ist eine ehemalige Eisbahn zu erkennen: Relikt aus einer vergangenen Zeit, manche aus der Gruppe haben sich hier noch als Kinder vergnügt.

Doch seit den 80er, 90er Jahren verkam das Carlton Centre infolge der Apartheid-Politik – so wie das gesamte Business-Viertel der Innenstadt. Immer mehr Firmen zogen aus, die Gegend verslumte. Bis heute leidet sie unter einem No-Go-Image, auch wenn Polizei und Kameras die Kriminalität inzwischen eindämmen.

Zynismus pur?

Spines

Schließlich führt die Tour des deutsch-südafrikanischen Künstlerteams – darunter João Orecchia und Mpumi Mcata aus Johannesburg – in ein Viertel, das niemand aus der Gruppe je betreten hat. Und das, obwohl es mitten in der Stadt liegt: Alexandra, ein schwarzes Township, nur einen Steinwurf entfernt vom Nobelquartier Sandton. Schmale Wellblech-Behausungen, Dixiklos - andere gibt es nicht. Ein paar Ziegen grasen im Müll. Wir fahren im Minibus vorbei, schauen aus dem Fenster: Zynischer Elends-Tourismus? Voyeurismus pur? Ich fühle mich schlecht, frage mich, was daran Kunst sein soll. Und frage, wie es Leuten aus unserer Gruppe geht, die hier leben und keine helle Haut haben. Klar finden sie das auch voyeuristisch. "Aber es ist besser, sich dem auszusetzen als gar nicht hinzuschauen", sagt ein junger Videocutter. "Der Grad der Abgrenzung hier ist extrem hoch. Viele Leute haben Angst. Da hinzugehen, würde die Blase ihres Lebens zerplatzen lassen, in der sie es sich bequem gemacht haben."

Maskierte Gestalten in einer Garage (Foto: Aya Bach)
Schräge Orte, maskierte Gestalten: Geheimnisvolle Begleiter auf der Performance-Tour durch JohannesburgBild: DW/Aya Bach

Tiefe Gräben

Bequem fühlt sich von uns keiner mehr. Das Kunstprojekt des Goethe-Instituts ist eine Gratwanderung. "Johannesburg ist eine Stadt in der Nach-Apartheid-Zeit", sagt Lien Heidenreich, Leiterin der Kulturprogramme. "Eine Stadt, die zwar zusammenwächst, in der aber viele Parallelwelten nebeneinander existieren." Die sind deutlich geworden auf der Tour. Aber das Kulturfestival will auch Anstöße zum Zusammenwachsen geben. So wie beim "In House Project", einer zweiten Performance-Serie. Der Johannesburger Sello Pesa lässt Künstler bei Privatleuten auftreten, in ihren Vorgärten oder einfach auf der Straße vorm Haus.

Manchmal ist das Publikum überschaubar bis winzig. Als ein Berliner Performer über die Welt der Mobiltelefone und die Übel des Kapitalismus philosophiert, schauen gerade mal zwei Mädchen von nebenan über den Zaun. Doch allein die Tatsache, dass die Eltern das erlaubt haben, ist schon ein Erfolg im Stadtteil Lenasia, wo schwarze und indischstämmige Nachbarn durch tiefste Gräben getrennt sind: "Es hat fünf Jahre lang gedauert, bis die miteinander gesprochen haben", erklärt Sello, der aus Soweto stammt und weiß, was kulturelle Gräben bedeuten.

Kriegsgesänge aus Lesotho

Tanzen auf der Straße

Die aber verlaufen nicht nur zwischen Ethnien oder Hautfarben. In Protea, einem modernen Viertel Sowetos, leben Schwarze, die es zu einem gewissen Wohlstand gebracht haben. Irritierend für die Bewohner, hier plötzlich traditionelle Kriegsgesänge vor ihren Häusern zu hören. Die Sänger sind Männer aus Lesotho, Leute vom Land, die nun in der Innenstadt Johannesburgs als Müllsammler leben. Welten trennen sie von Protea. Wir alle werden zum Imbiss ins Haus gebeten. "Gehen die Jungs jetzt rein und setzen sich auf einen Stuhl?", überlegt Sello Pesa, "ich glaube kaum. Außerdem sprechen sie nicht Englisch". Die Scheu, zu kommunizieren, ist groß, die Sänger bleiben draußen. Im Interview – mit Übersetzung – erzählen mir Mapa und Levenia, wie stolz sie sind, Teil des Kunstprojekts zu sein. "Und wir sind stolz, die Nachbarn hier zu überraschen!" Ich glaube, sie sind ehrlich.

"Ich möchte die alten Trennungen überwinden", sagt Sello Pesa. Eine Erfolgsgarantie gibt es dafür nicht. "Ich möchte es schaffen, dass Leute zusammensitzen und nach zehn, zwanzig Minuten fragen, wie heißt du? Für mich ist Kunst eine Möglichkeit, Leute dazu zu bringen. Ich weiß noch nicht, wie das funktioniert, vielleicht weiß ich das in zwei Jahren genauer."