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Streit um das Freihandelsabkommen

Jochen Kürten (mit dpa)14. Juli 2014

Kulturschaffende in Deutschland sehen angesichts der Verhandlungen über den Handel zwischen Europa und den USA die Kultur in Europa bedroht. Alles halb so wild, sagen hingegen Vertreter der EU.

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Protestaktion gegen EU-US Freihandelsabkommen TTIP am 6. Mai Berlin (Foto: Eva Usi)
Bild: DW/E. Usi

Die einen warnen schon vor dem Niedergang der Kultur Europas, sprechen vom Ende des europäischen Films und Fernsehens, vom Zerfall der Buchkultur, dem Sterben der Theaterlandschaft. Ein Horrorszenario. Andere wiegeln hingegen ab, meinen, die Kultur sei von den Freihandelsgesprächen gar nicht betroffen. Um was geht es?

Vom 14. - 18. Juli sitzen in Brüssel die Experten von Europäischer Union und den Vereinigten Staaten von Amerika zusammen, um in der inzwischen 6. Verhandlungsrunde über ein neues Freihandelsabkommen zu beraten. Begonnen haben die Gespräche im Juli vergangenen Jahres, bis Ende 2014 will man noch viermal zusammenkommen. Dann soll ein neues Abkommen zu Papier gebracht werden. Themen sind, wie es von offizieller EU-Seite heißt, die künftigen Regeln für den "Handel mit Waren und Dienstleistungen". Ziel des Abkommens ist es, durch die Beseitigung von Handelshemmnissen auf beiden Seiten des Atlantiks Wachstum und Arbeitsplätze zu schaffen.

Kultur als Handelsware?

Speziell aufgelistet werden dabei der Gesundheits- und Pflanzenschutz, elektronischer Handel und Telekommunikation, Umweltschutz, Energie und Rohstoffe sowie einiges mehr. Der Begriff Kultur wird nicht ausdrücklich genannt. Der macht im Übrigen auch nicht mehr als zwei Prozent des Handelsvolumens zwischen den Kontinenten aus. Viele Kulturschaffende in Deutschland befürchten trotzdem, dass durch liberalere Regelungen beim Handel auch das kulturelle Leben in Deutschland und Europa aus dem Lot gerät: weil dann eben Kunst und Kultur gleichen Freihandelsregelungen wie Maschinen oder Autos unterliegen. Spezielle Förderungen in Sachen Kultur (Filmförderung, Subventionen der Theater etc.) oder Schutzmaßnahmen (Buchpreisbindung) dürfte es - bei konsequenter Auslegung der Regeln - nicht mehr geben.

Frankreich Film Filmfestival Cannes 2014 Monika Grütters
Einzigartig: die breite deutsche Theaterlandschaft, hier die Schaubühne Berlin, lebt vor allem von SubventionenBild: DW/A. Kirchhoff

In den USA wird die Kultur - im Gegensatz zu Europa - nicht als besonders schützenswertes und förderungswürdiges Gut angesehen. Sie muss sich dem freien Spiel des Marktes aussetzen. In den USA gibt es Kulturförderung in erster Linie auf privater Basis und nicht als flächendeckendes öffentliches Angebot. Käme es also im Zuge eines neuen Freihandelsabkommens zu einer "Liberalisierung" der Kultur, so könnten sich beispielweise US-Film-Produzenten gegen die deutsche Filmförderung wenden oder Konzerne wie Amazon die Buchpreisbindung zu Fall bringen. So warnt Klaus Staeck, Präsident der Akademie der Künste in Berlin, auch nicht vor Regierungs- oder Wirtschaftsinstitutionen in den USA, sondern vor der Macht globaler Konzerne wie Amazon oder Google.

Frankreich Film Filmfestival Cannes 2014 Monika Grütters (Foto: Hubert Boesl)
Kulturstaatsministerin Monika GrüttersBild: picture-alliance/dpa

Kulturschaffende protestieren

In den letzten Wochen war nun unter deutschen Kulturschaffenden viel Protest gegen die möglichen Risiken eines neuen Freihandelsabkommens zu hören. Kulturstaatsministerin Monika Grütters warnte vor einer Verödung der kulturellen Angebote. Sie verwies auf die einmalige Theaterdichte in Deutschland, Museen, die mehr Menschen anzögen als die Fußball-Bundesliga, die vielen Orchester, den deutschen Film, die Buchbranche mit der so viel gepriesenen Buchpreisbindung. All dies sei möglicherweise in Gefahr.

Vertreter der verschiedenen Kultursparten äußerten sich ähnlich. Klaus Zehelein, Präsident des Deutschen Bühnenvereins: "Es darf keine internationalen Vereinbarungen geben, die die kulturelle Vielfalt in Deutschland gefährden." Dass Kultur in einem neuen Abkommen als Ware behandelt würde und darüber die europäische Kultur ins Wanken gerate, müsse unbedingt ausgeschlossen werden.

Porträt Geschäftsführer Börsenverein des Deutschen Buchhandels Alexander Skipis (Foto: dpa)
Alexander Skipis - Geschäftsführer des Börsenvereins des Deutschen BuchhandelsBild: picture-alliance/dpa

Alexander Skipis, Geschäftsführer des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, brachte seine Bedenken, dass die "Buchpreisbindung im Tausch für Erleichterungen im Industriebereich geopfert werden könnte", zum Ausdruck. Der Verband deutscher Schriftsteller und der Börsenverein des deutschen Buchhandels veröffentlichten eine gemeinsame Erklärung, in der es um den Fortbestand der Buchpreisbindung, des verminderten Mehrwertsteuersatzes auf Bücher und um das Urheberrecht geht.

Schlöndorff: Kulturgüter sollten ausgeklammert werden

Der Präsident des Deutschen Museumsbundes, Eckard Köhne, wies darauf hin, dass Museumsarbeit keine Handelsware und nicht an ökonomischen Profit zu messen sei. Für die Filmwirtschaft äußerte sich unter anderem Produzent Stefan Arndt: Kulturell wertvolle Koproduktionen von anspruchsvollen Filmen seien bedroht. Regisseur Volker Schlöndorff plädierte dafür, bei den Verhandlungen zwischen der EU und den USA sämtliche Kulturgüter auszuklammern.

Volker Schlöndorff Porträt (Foto: Daniel Naupold/dpa)
Regisseur Volker SchlöndorffBild: picture-alliance/dpa

Der Deutsche Kulturrat, Spitzenorganisation von mehr als 200 Bundeskulturverbänden, forderte einen kompletten Abbruch und einen Neustart der Gespräche unter anderen Vorgaben. Christian Höppner, Präsident des Rates: "Kultur und Medien müssen von den Vereinbarungen ausgenommen werden."

Alles halb so wild, viel Aufregung um Nichts - so lautet hingegen der Tenor der anderen Seite. In einem ausführlichen Beitrag für die Wochenzeitung "Die Zeit" verwies der zuständige EU-Handelskommissar Karel de Gucht darauf, dass ein neues Abkommen lediglich dazu diene, das bereits bestehende Abkommen aktuellen Entwicklungen anzupassen. Viele der derzeitigen Regelungen seien "nicht mehr transparent und nachvollziehbar."

EU-Handelskommissar de Gucht versteht die Aufregung nicht

De Gucht verwies darauf, dass der Bereich Kultur nicht Gegenstand der Verhandlungen sei: "Ich würde niemals ein Abkommen aushandeln oder einem solchen zustimmen, das unser System der Filmförderung infrage stellen würde." Das treffe auch auf andere Kultur- und Medienbereiche zu, "ob es sich um die Buchpreisbindung oder die besondere Struktur des öffentlichen Rundfunks in Deutschland handelt." In der Vergangenheit habe man die Kultur immer ausgeklammert: "Kein von der EU abgeschlossenes Handelsabkommen hat dies jemals infrage gestellt."

Karel De Gucht (Foto: Vincent Isore/IP3 press; Paris, France)
EU- Handelskommissar Karel de GuchtBild: picture-alliance/dpa

Besonders Frankreich hatte in Brüssel in der Vergangenheit auf die kulturelle Ausnahme gepocht - das Schlagwort von der "exception culturelle" ist in Brüssel in aller Munde. Ähnliche Willensbekundungen gibt es auf nationaler deutscher Ebene. Im Koalitionsvertrag haben sich CDU/CSU und SPD darauf festgelegt, dem "besonderen Schutz von Kultur und Medien Rechnung zu tragen". Grütters kam inzwischen zu einem Gespräch mit de Gucht zusammen und sprach sich dafür aus, den besonderen Schutz der Kultur bei solchen Verhandlungen zu verankern.

Bleibt die Frage, warum - trotz der Beschwichtigungen der EU - bei vielen Kulturschaffenden Bedenken geäußert werden. Zum einen liegt es daran, dass die Unterhändler der EU und der USA hinter verschlossenen Türen konferieren. Dieses Defizit räumte auch de Gucht ein. Man befinde sich im Verhandlungsprozess in der ersten Halbzeit, beschwichtigte der EU-Handelskommissar. In diesem Stadium könnte man nicht alle taktischen Erwägungen vollkommen öffentlich machen. Das soll sich jedoch jetzt ändern: "In der zweiten Halbzeit wird der Verhandlungstext allgemein zugänglich sein."