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Kritik an Koalitionsausschuss

Mathias Bölinger5. November 2012

Es galt schon als Erfolg, dass sich der Koalitionsausschuss überhaupt treffen konnte. Am Tag danach loben sich die Regierungsparteien zudem für ihre Entschlusskraft. Die Opposition sieht eher einen "schwarzen Sonntag".

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Philipp Rösler und Angela Merkel (Foto: Reuters)
Bild: Reuters

Übermüdet, aber demonstrativ zufrieden traten die Mitglieder der Regierungsparteiten am Morgen nach dem Koalitionsausschuss vor die Kameras. Der Wirtschaftsminister und FDP-Vorsitzende Philipp Rösler sprach am Montag von einem "Signal der Handlungsfähigkeit", das die Regierung aussende: "Europa befindet sich in schwierigen Zeiten. Da können die Deutschen erwarten, dass sie eine Regierung haben, die regiert." Arbeitsministerin Ursula von der Leyen erklärte, sie sei "hocherfreut".

Der SPD-Fraktionsvorsitzende Frank-Walter Steinmeier sprach dagegen von einem "schwarzen Sonntag" für die Koalition und einem "Offenbarungseid für die Regierung Merkel". Die Grünen-Vorsitzende Claudia Roth nannte die beschlossenen Mehrausgaben eine "Bescherung, die uns noch teuer zu stehen kommen wird".

SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier (dpa)
SPD-Fraktionschef Steinmeier lässt kein gutes Haar an den KoalitionsbeschlüssenBild: picture-alliance/dpa

Praxisgebühr geht, Betreuungsgeld kommt

Acht Monate lang hatte der Koalitionsausschuss nicht getagt. In diesem Gremium besprechen die Regierungsparteien eigentlich regelmäßig ihre nächsten politischen Schritte. Doch in letzter Zeit konnten sich die Regierungsparteien noch nicht einmal auf einen Termin einigen, so unvereinbar schienen die Positionen der Koalitionspartner. Die bayerische CSU pochte seit Monaten auf die Einführung eines Betreuungsgeldes für Eltern, die ihr Kleinkind zu Hause erziehen. Die FDP lehnte das ab. Die Liberalen wiederum wollten die Praxisgebühr von zehn Euro abschaffen, die jeder gesetzlich Krankenversicherte einmal im Quartal bezahlen muss. Das missfiel CDU und CSU. Auch die Pläne von Arbeitsministerin von der Leyen, niedrige Renten mit Steuermitteln aufzustocken, waren zum Teil auf heftigen Widerstand in den Regierungsfraktionen gestoßen.

Das Ergebnis des Koalitionsgipfels ist nun, dass die CSU ihr Betreuungsgeld bekommt. Es soll zum ersten August und damit acht Monate später als ursprünglich gefordert eingeführt werden. Die FDP durfte sich mit der Abschaffung der Praxisgebühr durchsetzen. Und auch eine Aufstockung der Rente aus Steuergeld wird es geben: Unklar ist noch, wie hoch die "Lebensleistungsrente", wie die neue Leistung heißen soll, ausfallen wird. Während es zunächst hieß, die Zuschussrente werde 10 bis 15 Euro über dem Existenzminimum von etwa 690 Euro liegen, erklärte das Arbeitsministerium am Nachmittag, man gehe davon aus, dass für die meisten Rentner ein Betrag von etwa 850 Euro herauskomme. Das entspräche dem, was die Arbeitsministerin seit Monaten gefordert hatte.

Einigung bei schwarz-gelben Koalitionstreffen

Neue Schulden sollen für diese Leistungen nicht aufgenommen werden. Für das Jahr 2014 will die Koalition einen strukturell ausgeglichenen Haushalt vorliegen. Kredite sollen dann nur noch für Sonderausgaben wie die Zahlungen an den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) aufgenommen werden.

SPD nennt Rentenpläne "zynisch"

Insbesondere die Pläne zu Rente und Betreuungsgeld stoßen auf heftige Kritik der Opposition und Sozialverbänden. "Es ist ein ziemlicher Zynismus zu sagen, wir erfinden eine Lebensleistungsrente für Menschen, die mehr als 30 oder 40 Jahre gearbeitet haben, und die liegt dann nur 10 oder 15 Euro oberhalb der Sozialhilfe", sagte der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel. Von "blankem Zynismus" sprach auch Annelie Buntenbach, Vorstandsmitglied des Deutschen Gewerkschaftsbunds. Sie kritisierte vor allem, dass die Zugangshürden für die neue Rentenleistung zu hoch seien. So soll offenbar nur anspruchsberechtigt sein, wer 40 Jahre lang rentenversichert war und auch privat für das Alter vorgesorgt habe. "Das geht an der Lebenswirklichkeit der meisten Frauen vorbei", sagte auch die Präsidentin des Sozialverbands VdK. Linkspartei-Chef Bernd Riexinger sprach von einer "Mogelpackung".

Die Bundesvorsitzende der Grünen, Claudia Roth (Foto: dapd)
Grünen-Chefin Roth hält das Betreuungsgeld für verfassungswidrigBild: dapd

Ebenso heftig fiel die Kritik der Oppositionsparteien am geplanten Betreuungsgeld aus. Gabriel sprach von einer "wirklichen Katastrophe". Während die CSU damit die Wahlfreiheit der Familien stärken will, befürchten Kritiker, dass gerade bildungsferne Familien verleitet werden könnten, ihren Kindern die Förderung in einer Einrichtung vorzuenthalten. Die Grünen-Vorsitzende Claudia Roth erklärte, sie halte die neue Leistung für verfassungswidrig. Sowohl Gabriel als auch Roth deuteten an, dass sie sich auch eine Klage vor dem Verfassungsgericht vorstellen können. Vertreter beider Parteien kündigten außerdem an, die umstrittene Leistung sofort wieder abzuschaffen, sollte bei den Wahlen im nächsten Jahr eine rot-grüne Koalition gewählt werden.