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Kritik an Armuts- und Reichtumsbericht

Kay-Alexander Scholz6. März 2013

Der vierte Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung sieht Deutschland auf gutem Wege. Opposition und Gewerkschaften sprechen hingegen von einem Armutszeugnis.

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Ursula von der Leyen stellt den Armutsbericht vor (Foto: Getty Images)
Ursula von der Leyen stellt den Armutsbericht vorBild: Getty Images

Die zuständige Bundesministerin Ursula von der Leyen (CDU) legte bei der Vorstellung des Armuts- und Reichtumsberichts der Bundesregierung den Fokus auf die "erfolgreiche Arbeitsmarktpolitik". "Denn Arbeit schafft Einkommen, darin sehe ich meine Aufgabe", sagte von der Leyen in Berlin. Deshalb sei es gut, dass es in verschiedenen Gruppen der Bevölkerung im Berichtszeitraum 2008 bis 2011 Verbesserungen gegeben habe. Die Jugendarbeitslosigkeit sei aktuell die niedrigste in Europa, sagte die Ministerin. Der Anteil der Migranten mit Abitur sei gestiegen. Immer mehr Frauen und immer mehr Ältere seien in Beschäftigung. Insgesamt konnte so in den letzten Jahren eine weitere Aufspreizung der Einkommen gestoppt werden, wie von der Leyen anhand der international üblichen Gini-Kennziffern deutlich machte. "Das ist ein gutes Zeichen."

Die skandinavischen Länder stünden unter anderem deshalb beim Gini-Koeffizienten besser als Deutschland da, weil dort mehr Frauen in Vollzeit arbeiten, erklärte die Ministerin. Deshalb sei es für Deutschland wichtig, den Betroffenen auch gesetzlich eine Möglichkeit zu geben, aus der "Teilzeitfalle - einmal Teilzeit, immer Teilzeit" herauszukommen. Der Gini-Koeffizient bezeichnet eine Berechnungsmethode, die nach dem italienischen Statistiker Corrado Gini benannt ist und die Gerechtigkeit der Einkommensverteilung misst.

Von der Leyen: "Sind auf dem richtigen Weg"

Andere Problemfelder definierte die Ministerin in Bezug auf Langzeitarbeitslosigkeit und fehlende Berufsabschlüsse bei Menschen zwischen 25 und 35 Jahren. Diesen 300.000 Jugendlichen müsste eine zweite Chance gegeben werden, um sozialen Aufstieg zu ermöglichen. "Wir haben unsere Arbeit noch lange nicht beendet", so von der Leyen. Denn es bedarf vieler Bausteine, um die Situation zu verbessern. "Aber wir sind auf dem richtigen Weg."

Trotz der guten Zahlen - ganz so strahlend wie ihr langjähriges Image schaut Ursula von der Leyen nicht mehr (Foto: Getty Images)
Trotz der guten Zahlen - ganz so strahlend wie ihr langjähriges Image schaut Ursula von der Leyen nicht mehr ausBild: Getty Images

Abseits der Zahlen aus der Arbeits- und Familienpolitik machte die Ministerin wenig Aussagen über das gesellschaftliche Ausmaß von Armut. Sie sprach allerdings ihre Hochachtung für die Wohlfahrtsorganisationen aus, "die Armut täglich erleben". Ebenso fehlten differenzierte Aussagen zum Reichtum Deutschlands. Jedoch sprach sich von der Leyen dafür aus, dass über Stiftungen, Spenden und karitative Arbeit wohlhabende Menschen der Gesellschaft etwas zurückgeben sollten. Mögliche Maßnahmen einer politischen Umverteilung von "oben" nach "unten", wie sie die Opposition zum Beispiel durch höhere Steuern fordert, sprach die Ministerin nicht an.

Laut Bericht verfügten die reichsten zehn Prozent der Haushalte über 53 Prozent des gesamten Nettovermögens in Deutschland (Stand: 2008). 2003 waren es 49 Prozent. Die gesamte untere Hälfte der Haushalte besitzt dagegen nur gut ein Prozent.

Streit mit Koalitionspartner FDP

Im Vorfeld des 548-seitigen Berichtes hatte es ausgiebige Debatten zum Armuts- und Reichtumsbericht gegeben. Die erste Fassung lag schon im September 2011 vor und ging dann durch die übliche Ressortabstimmung. Auf Betreiben der FDP wurde der Bericht dabei jedoch "geschönt und zensiert", wie die Opposition kritisierte und deshalb den Bericht schon im Vorfeld im Bundestag diskutierte. In der endgültigen Fassung, die nun in Berlin vorgestellt wurde, sind einige der Passagen wieder enthalten, die zunächst auf Widerspruch bei der FDP gestoßen waren. Dazu gehört der Satz, dass es in Deutschland "eine sehr ungleiche Verteilung von Privatvermögen gibt".

Der FDP-Vorsitzende und Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler bezeichnete die Kritik am Bericht als "absolutes Wahlkampfgetöse". Deutschland gehe es so gut wie nie und sei Wachstumsmotor für ganz Europa und die Welt. Auch FDP-Generalsekretär Patrick Döring sprach von "parteitaktischem Schauspiel". Der Armutsbericht zeige "auf Grundlage von Fakten, wie gut die Lage in Deutschland wirklich ist".

Kritik: "Neoliberale Politik gescheitert"

Grünen-Chef Cem Özdemir erneuerte die Kritik seiner Partei an dem Vorgehen: "Frisieren von Berichten, damit sie vor der Wahl geschmeidiger sind, das macht man einfach nicht." Falsche Analysen hätten falsche Schlussfolgerungen zur Konsequenz. Özdemir regte an, den Bericht zukünftig von unabhängigen Experten erstellen zu lassen. Dann hätte man keinen so "unwürdigen Streit". Von der Leyen entgegnete diesem Vorschlag, der Armuts- und Reichtumsbericht sei ein "Pflichtbericht der Bundesregierung, der nicht an Experten delegiert werden kann". Auf die Frage, warum der Pflichtbericht nun eigentlich mit so großer Verzögerung von ihr vorgestellt wird, antwortete von der Leyen, man habe noch auf die Zahlen aus dem Jahr 2011 warten wollen. Die öffentlich geführte Debatte über die Ressortabstimmung des Berichts jedenfalls fand sie wenig hilfreich - weil statt über Inhalte über Halbsätze gesprochen worden sei.

Deutliche Kritik an der Arbeit der Bundesregierung kam vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB). "Der Armutsbericht ist ein Armutszeugnis der Bundesregierung", sagte DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach. Obwohl die Arbeitslosigkeit deutlich zurückgegangen sei, gebe es mehr Armut in Deutschland, kritisierte Buntenbach. Darin zeige sich, "dass die neoliberale Politik nach der Devise 'Sozial ist, was Arbeit schafft' gescheitert ist". Wenn die oberen Zehntausend die Hälfte des gesellschaftlichen Reichtums horteten, die Mittelschicht aber wegbröckele und ein Viertel der Beschäftigten zu Niedriglöhnen arbeiten müsse, verletzte dies das Gerechtigkeitsempfinden vieler Menschen.