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Kurdische Pläne

Hermione Gee, z.Zt. Erbil / sp / dh 21. Juni 2014

Der Irak versinkt immer mehr im Chaos. In den kurdischen Gebieten denkt man laut über mehr Autonomie oder gar die komplette Unabhängigkeit nach. Doch diesem kurdischen Traum stehen einige Hindernisse im Weg.

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Kurdische Soldaten im Irak (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Während weite Teile Iraks im Chaos versinken, bleiben die autonomen Kurdengebiete im Norden des Landes eine Oase der Ruhe. Obwohl kurdische Truppen in Kämpfe um Kirkuk involviert waren und Kurdistan hunderttausende Flüchtlinge aus Mossul, Samarra und Tal Afar aufgenommen hat, verläuft das Leben in der Region normal.

Angesichts der islamistischen Welle, die den Rest des Iraks derzeit überschwemmt, eröffnet diese Stabilität den Kurden die Möglichkeit, sich zu konsolidieren und ihre kleine, aber sichere Enklave zu stärken. Die Übernahme der lange umkämpften Ölstadt Kirkuk und der umliegenden Gebiete durch Einheiten der Peschmerga [irakisch-kurdische Kämpfer, Anm. d. Red.] unterstreicht diesen Eindruck.

Sobald sich die Wogen nach dem Ende der Kämpfe glätten, meinen einige Beobachter, werde es eine komplette kurdische Unabhängigkeit geben. Doch obwohl ein unabhängiger kurdischer Staat für Kurden auf der ganzen Welt eine Glaubensfrage ist, zweifeln einige, ob nun der richtige Zeitpunkt sei, den Traum zu verwirklichen.

Unabhängigkeit will organisiert sein

"Irak 2.0 hat begonnen - mit seinen eigenen Regeln und seiner eigenen Logik", sagt Hiwa Osman. In seiner Heimat Erbil, dem Regierungssitz der Autonomen Region Kurdistan, betreibt der Kolumnist und ehemalige Medienberater des irakischen Präsidenten Jalal Talabani einen Blog mit dem Namen "Thoughts from Iraq". "Sollte es eine neue, unabhängige, kurdische Region geben, wird viel abhängen von den Nachbarn, der internationalen Dynamik in dieser Region sowie vom Umgang der Zentralregierung mit dieser Krise. Und von der internen kurdischen Politik. Seien wir ehrlich: Wenn sie uns morgen sagen: 'Okay, Kurden, hier habt ihr eure Unabhängigkeit' - wie stellen wir es an? An wen geht das Erdöl? Was wird der Iran darüber denken und was die Türkei? Wie soll man mit einer solchen neuen Realität umgehen?"

Peschmerga-Einheiten in der Region um al-Muafakiya (Foto: KARIM SAHIB/AFP/Getty Images)
Sicherer Hafen? Kurdische Soldaten in den AutonomiegebietenBild: AFP/Getty Images

Diese Fragen stellt sich offensichtlich auch die Regierung der Autonomen Region Kurdistan (KRG). Sie bleibt vorsichtig: "Im Moment formulieren wir die Unabhängigkeit nicht als Ziel", sagt KRG-Außenminister Falah Mustafa Bakir. "Unsere Priorität ist der Schutz der Region und unserer Bevölkerung. Wir wollen mehr wirtschaftlichen und politischen Einfluss und wir wollen unser Schicksal selbst bestimmen."

Hätte der irakische Ministerpräsident Nuri al-Maliki besser mit den verschiedenen politischen und ethnischen Gruppen im Land kooperiert, so Falah Mustafa, dann befände sich das Land nun nicht in einer derart desolaten Situation. "Diesen Konflikt hätte man vermeiden können, wenn es eine vernünftige Politik in Bagdad gegeben und man die Macht geteilt hätte." Wegen der zentralisierten Macht, der Diskriminierung einzelner Gemeinschaften und des autoritären Auftretens al-Malikis sei es dazu aber nicht gekommen.

Iraks Ministerpräsident Nuri al-Maliki bei einer Rede in Bagdad (Foto: EPA/ALI AL-SAADI/POOL)
Zu wenig Konsens? Iraks Ministerpräsident Nuri al-MalikiBild: picture-alliance/dpa

Das Öl ist der Schlüssel

Die Kurden müssen zudem entscheiden, ob sie es sich leisten können, auf die 17 Prozent des irakischen Budgets zu verzichten, die ihnen die irakische Verfassung zusichert. Da sich die KRG und Bagdad schon länger über Öllieferverträge streiten, schickt Bagdad derzeit allerdings kein Geld nach Erbil. In den kurdischen Gebieten konnten deshalb Beamte und Peshmerga nicht bezahlt werden, alle nicht unbedingt nötigen Dienstleistungen wurden eingestellt.

Die KRG setzt ihre wirtschaftlichen Hoffnungen ins Öl. Die Region sitzt auf geschätzten 45 Millionen Barrel und hat zudem erhebliche Gas-Reserven. Derzeit bekommt Kurdistan zwar nur 17 Prozent der Einnahmen durch das kurdische Öl, doch obendrauf kommen 17 Prozent der gesamten irakischen Öleinnahmen. Seit dem vergangenen Dezember wird Öl durch eine neue Pipeline in die Türkei exportiert.

Die Frage, wie Kurdistan sein Öl an die internationalen Märkte transportiert, ist von großem Interesse, sagt Rod Thornton, Militärexperte am Kings College in London. "Die neue Pipeline ist für die KRG der einzige Weg, sich ohne Hilfe aus Bagdad selbst zu finanzieren", sagt Thornton. "Dies sorgt in der Türkei für Freude, denn Ankara hat die KRG dadurch in der Hand. Die KRG kann Öl nur mit türkischer Zustimmung exportieren und verkaufen. Die Türkei könnte daher sagen: 'Stoppt eure Unterstützung für die Kurden in Syrien', was in einigen Teilen Erbils nicht gut aufgenommen würde."

Ein Arbeiter in einem Ölfeld in Kirkuk (Foto: Christophe Petit Tesson/MAXPPP)
Erdöl spielt eine wesentliche Rolle für die KurdenBild: picture-alliance/dpa

Im Norden gibt es eine weitere Pipeline, die von Kirkuk bis zur Türkei reicht. Sie sorgt für zwölf Prozent der irakischen Ölreserven. Allerdings verübt ISIS immer wieder Anschläge auf diese Pipeline. "Auch wenn sie Kirkuk erobert haben", sagt Thornton, "solange sie das Öl nicht bekommen, bedeutet das gar nichts."

Bis zum Ende des Jahres werde Kurdistan im Stande sein, sich komplett selbst zu versorgen, so Außenminister Falah Mustafa - unabhängig von Bagdad. Und die größten Einnahmen werde man mit Öl machen. "Dennoch wollen wir natürlich weitere wirtschaftliche Einnahmequellen erschließen", sagt Mustafa. "Wir werden uns besonders um die Privatwirtschaft kümmern, dabei wird es hauptsächlich um Landwirtschaft, Industrie und Tourismus gehen. Wir haben eine gesunde Wirtschaftspolitik."

Innenpolitische Probleme

Doch für ein von Bagdad unabhängiges Kurdistan zählt nicht nur die Wirtschaft. Auch die Innenpolitik müsste reformiert werden.

Wenige Jahre nach der Unabhängigkeit Kurdistans 1991 brach ein blutiger Bürgerkrieg in der Region aus. Daran beteiligt waren die Demokratische Partei Kurdistans (DPK) und die Patriotische Union Kurdistans (PUK). Zum Ende des Krieges 1997 gingen beide eine strategische Allianz ein und schlossen sich zur Autonomen Region Kurdistans zusammen. Allerdings hat der Einfluss der PUK in den vergangenen Jahren nachgelassen, denn Parteichef Jalal Talabani hat sich bisher noch nicht von dem Schlaganfall erholt, den er 2012 erlitt. Ehemalige Mitglieder der PUK haben daher eine neue Partei gegründet.

Arbeiter in der Hauptstadt der Kurdischen Autonomen Region im Irak (Foto: Christophe Petit Tesson/MAXPPP)
Die Wirtschaft hat sich in den irakischen Kurdengebieten stetig entwickeltBild: picture alliance/dpa

Den verschiedenen kurdischen Fraktionen ist es erst in dieser Woche gelungen, ein Kabinett zu bilden - neun Monate nach der Parlamentswahl. Der PUK fällt es schwer, sich mit ihrer neuen, weniger einflussreichen Rolle zurecht zu finden. Nun, da die Hochburg der PUK, Kirkuk, unter kurdischer Kontrolle ist, scheinen neue innenpolitische Auseinandersetzungen vorprogrammiert, wenn es um Kurdistans Autonomie geht. Besonders, weil die PUK enge Bindungen zu Teheran pflegt und sich der Iran immer gegen eine Abspaltung von Bagdad ausgesprochen hat.

Mehr Bärte, mehr Schleier, mehr Predigten

Auch der zunehmende Islamismus in der Region gefährde die Unabhängigkeitsbestrebungen Kurdistans, sagt Kolumnist Hiwa Osman. "Wir sehen immer mehr Männer mit Bärten und Frauen mit Gesichtsschleier in den Straßen von Kurdistan", sagt er. "Wenn man sich die verschiedenen Radiostationen anhört, dann hört man den ganzen Tag nur Predigten".

Kurdistan könne seine Unabhängigkeit nicht durch Krieg erreichen, fügt er hinzu, sondern nur durch Verhandlungen. Allerdings müsse die Region dazu insgesamt stabil sein. Die Islamisten könnten dabei einen Strich durch die Rechnung machen.

Hoffnung auf eine bessere Zukunft

Die Kurden schauen daher gespannt darauf, wie sich die Krise im Land weiterentwickelt. "Was für eine Art von Irak werden wir haben?" fragt Falah Mustafa. In einem binationalen, multiethnischen Land müsse man eine gerechte Lösung finden - Kurden und Sunniten müssten das Gefühl haben, sie seien Partner.

Irakische Fllüchtlinge in Erbil im Nordirak (Foto: KARIM SAHIB/AFP/Getty Images)
Kurdistan bietet vielen Flüchtlingen SchutzBild: Karim Sahib/AFP/Getty Images

"Wir wollen nicht für einen Zusammenbruch des Iraks verantwortlich sein. Wir bleiben, wo wir sind und werden uns um unser Land und unsere Leute kümmern. Die Vergangenheit war bitter genug, wir waren tief gespalten. Wir setzen auf eine bessere Zukunft und daran arbeiten wir."