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Krieg statt Fußball

Nils Brock10. Dezember 2008

Bilder von Kindersoldaten kennt man eigentlich nur aus Afrika. Doch auch in Kolumbien arbeiten Minderjährige an allen Fronten. Guerilla und Paramilitärs werben um Nachwuchs – und die Regierung schaut zu.

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Ehemalige Soldaten: Kinder aus einem Schutzprogramm bleiben jetzt lieber unerkanntBild: Nils Brock
Kindersoldaten in Kolumbien Fußballplatz
Abgelegene Fußballplätze stehen leer. Oft rekrutieren bewaffnete Gruppen hier spielende Kinder.Bild: Nils Brock

Seine Nachmittage verbringt der 15-jährige Jonas am liebsten auf dem Fußballplatz in der kolumbianischen Kleinstadt Villavicencio. Der dürre Lockenkopf dribbelt so ziemlich jedem Verteidiger davon. Schon wieder schießt Jonas ein Tor. Er grinst - Ferienstimmung.

Doch die Provinzhauptstadt Villavicencio ist auch Stützpunkt des kolumbianischen Militärs, denn die Region ist hart umkämpft. Nachts beherrschen paramilitärische Gruppen die umliegenden Dörfer. Gleichzeitig steigen regelmäßig Guerillaverbände der FARC von den nahen Bergketten herab. Die Bevölkerung gerät regelmäßig zwischen die Fronten.

Billiges Kanonenfutter

Die Militäroffensive der kolumbianischen Regierung hat vor allem der Guerilla zugesetzt. Kinder und Jugendliche als billige Nachwuchskräfte zu rekrutieren, ist deshalb wichtiger als je zuvor. Keine grundsätzlich neue Praxis, sagt Jonas. Vor vier Jahren wurde er selbst von einer Guerillapatrouille entführt. „Ein Woche lang gaben sie mir nichts zu essen“, erzählt Jonas. Dann sei er gemeinsam mit anderen Kindern ausgewählt worden, das Gelände zu erkunden. Erst dann kamen die Guerilleros hinterher, um sich selbst nicht zu gefährden. "Ich hab das eine ganze Zeit lang mitgemacht, als ihr Gefangener.“Jonas grinst jetzt nicht mehr.

Die Regierung schaut weg

Kindersoldaten in Kolumbien Straßenszene
Straßenszene im ländlichen Kolumbien. Kinder erledigen Besorgungen nur vor Sonnenuntergang. Dann wird's gefährlich.Bild: Nils Brock

Mehr als 11.000 Kinder und Jugendliche sollen heute in den bewaffneten und zunehmend verworrenen Konflikt Kolumbiens verwickelt sein. Sie arbeiten als Informanten, Drogenkuriere und Minensucher an allen Fronten. Auch Mädchen werden als Köchinnen und Putzfrauen rekrutiert und oft zu Sex mit den Kämpfern gezwungen. Die kolumbianische Regierung kenne das Problem, habe jedoch keine Lösung, meint der Gründer der kolumbianischen Hilfsorganisation Benposta José Luis Campos. Auch deshalb, weil die Regierung den bewaffneten Konflikt als Kampf gegen den Terrorismus abtue: "Sie will den Krieg nicht wahrhaben". Lieber wirbt sie für militärisch-zivile Initiativen wie "Soldat für einen Tag". "Und dass alles in Konfliktgebieten!", sagt Campos, "das setzt die Jungen und Mädchen einer unglaublichen Gefahr aus.“

Mit dem Rücken zur Wand

Denn, wer als Kind unter Verdacht gerät, für die eine oder andere Seite zu arbeiten, gerät schnell in die Schusslinie. Geredet wird darüber selten im Dorf. Die Angst ist groß. Noch dazu glauben manche Eltern, dass ihre Kinder als junge Rekruten Geld nachhause bringen würden. Einer von vielen fatalen Irrtümern, mit dem die Hilfsorganisation Benposta aufräumen will. Unterstützt von der Deutschen Diakonie Katastrophenhilfe und der Europäischen Kommission organisieren sie gemeinsam Nachbarschaftstreffen in den Dörfern.

Kinderkommunen sollen helfen

Kindersoldaten in Kolumbien
Kindersoldaten der FARC - gefangengenommen von den MilitärsBild: AP

Kriegswaisen wie Jonas und Jugendliche, die vor einer Zwangsrekrutierung flüchten, finden heute auch zeitweise Unterschlupf in den verschiedenen Kinderkommunen Benpostas und anderen Schutzprogrammen. So auch in Villavicencio, wo Jonas nicht nur Fußball spielen, sondern auch die Schule nachholen kann. Mehr als 3000 Kinder zählen die verschiedenen Kinderkommunen inzwischen. Bisher sei ihre Arbeit ein großer Erfolg, sagt Francois Duboc. Er ist humanitärer Helfer der Europäischen Kommission: "Wir greifen dort ein, wo die staatlichen Institutionen aus bestimmten Gründen keine umfassende Antwort auf die Bedürfnisse der Menschen haben." Die Initiative möchte jedoch keine staatlichen Aufgaben ersetzen. So fordert Duboc den kolumbianischen Staat auf, die Arbeit mit den Kindern früher oder später in dauerhafte Strukturen zu überführen.

Militärakademie als einzige Chance

In einigen Gemeinden klappt diese Zusammenarbeit inzwischen ganz gut. Doch spätestens zur Wehrpflicht holt die Jungen der bewaffnete Konflikt wieder ein. Und für viele Mädchen vom Land stellen Militär- oder Polizeiakademien oftmals die einzige Ausbildungschance dar. Auch Jonas Fußballerkarriere scheint so fraglich. Denn einen dauerhaften Ausstieg der kolumbianischen Jugend aus dem bewaffneten Konflikt kann nur eines garantieren, sagt Campos: ein Ende der Kämpfe und die Rückkehr der Konfliktparteien an den Verhandlungstisch.