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Kommt in der Ukraine die Lustration?

10. Februar 2005

Eine Lustration ist in der Ukraine unumgänglich und sie hat bereits begonnen. Dieser Ansicht waren die Teilnehmer eines Runden Tisches in Kiew. Der neue Justizminister Roman Swarytsch ist aber anderer Meinung.

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Das ukrainische Parlament soll entscheidenBild: dpa

Am 3. Februar ist in das ukrainische Parlament ein Gesetzentwurf über die Lustration eingebracht worden. Über diesen Gesetzentwurf diskutierten an einem Runden Tisch in Kiew Abgeordnete, unabhängige Experten und Vertreter gesellschaftlicher Organisationen. Sie waren sich darin einig, dass die neue personelle Besetzung der Staatsorgane schon jetzt nach einem moralischen Säuberungs-Prinzip verläuft. Gerade dies bedeutet nach Ansicht der Teilnehmer des Runden Tisches, dass die politische Lustration in der Ukraine bereits begonnen hat.

Was ist Lustration?

Die Lustration sieht vor, dass Politikern oder Staatsdienern, die schon unter dem gestürzten Regime wichtige Posten in Staatsorganen besetzten, vorübergehend, meist für fünf Jahre, verboten wird, ein Staatsamt zu bekleiden. In den mittel- und osteuropäischen Ländern hatte sich die Lustration als ein wirksames Instrument bewährt, mit dem Vertreter der kommunistischen Parteien oder der Geheimdienste aus den Staatsorganen ferngehalten werden konnten.

Unschuldige dürfen nicht zu Opfern werden

Nach Ansicht von Andrij Schkil, einem der Verfasser des Gesetzentwurfes, müssen bei einer gesetzlichen Festlegung eines solchen Verfahrens die Lustrations-Fristen und die Begrenzungen der Arbeitsverbote in Staatsorganen festgelegt werden. Ferner müsse entschieden werden, auf welche Staatsebenen die Lustration auszudehnen sei. Kriminalverbrechen sollten aber nicht unter das Gesetz fallen. Die meisten gemäßigten Teilnehmer der Diskussion riefen dazu auf, zu vermeiden, dass Unschuldige zu Opfern werden.

Justizminister in der Kritik

Zuvor hatte der neue ukrainische Justizminister Roman Swarytsch erklärt, er sei gegen eine Lustration, weil sie verfassungswidrig sei. Swarytsch sagte, vor dem Gesetz seien alle Bürger gleich. Er schlug vor, anstatt einer Lustration die Korruptionsbekämpfung zu verstärken und einen Ehrenkodex für Staatsdiener zu erarbeiten. Der Politologe Wolodymyr Polochalo meint, die Haltung des Justizministers stelle keinen konstruktiven Umgang mit dem starken Wandel der Gesellschaft infolge der Revolution von unten dar. Er sagte: „Es handelt sich hier nicht um neue politische Gewaltanwendung, sondern um die Bestrafung Schuldiger. Das ist notwendig, um die Gesellschaft und die Staatsmacht zu säubern. Staatsdiener des früheren Regimes haben viele Verbrechen nicht nur gegen das Volk, sondern auch gegen Einzelpersonen verübt. Zu erinnern ist an den aufsehenerregenden Fall des Journalisten Gongadse.“ Polochalo betonte, der neue Justizminister hätte besser einen Säuberungs-Mechanismus vorschlagen sollen.

Erster Lustrations-Fall?

Anzeichen dafür, dass es zu Strafen kommen kann, kamen auf, als die Lustrations-Diskussion am Runden Tisch im Gange war. Das Gericht im Kiewer Bezirk Petscherskyj lehnte eine Klage des ehemaligen Leiters der Präsidentenadministration, Wiktor Medwedtschuk, ab, der Beschwerde gegen die Veröffentlichung von Mitschnitten aus Telefongesprächen eingelegt hatte, in denen Einzelheiten der Fälschung der Präsidentschaftswahlen besprochen werden und eine Stimme zu hören ist, die der Medwedtschuks ähnelt. Die Aufnahmen hatte Oleh Rybatschuk, einer der Anführer der „Orange Revolution“ und heutiger Vizepremier für europäische Integration, veröffentlicht. Rybatschuks Anwältin, Anschelika Labunska, sagte, alle Beweise seien dem Sicherheitsdienst der Ukraine zur weiteren Prüfung im Rahmen der Strafsache vorgelegt worden.

Aleksandr Sawizkij, Kiew

DW-RADIO/Russisch, 7.2.2005, Fokus Ost-Südost