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Kommission soll sexuellen Missbrauch aufarbeiten

Nina Werkhäuser27. Januar 2015

Fünf Jahre nach der Aufdeckung des Missbrauchsskandals an Schulen und kirchlichen Einrichtungen fordern die Opfer eine unabhängige Kommission - noch seien wichtige Fragen wie die Entschädigung nicht geklärt.

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Symbolbild Kindesmissbrauch
Bild: picture alliance / ZB

Es sei für ihn ein besonderer Moment, im gut gefüllten Saal der Bundespressekonferenz zu sprechen, sagt Matthias Katsch. Als vor fünf Jahren bekannt wurde, dass er als Schüler am katholischen Canisius-Kolleg sexuell missbraucht wurde, habe er sich noch nicht getraut, seinen richtigen Namen zu nennen und nur unter Pseudonym mit Journalisten gesprochen.

Es sei eine befreiende Erfahrung gewesen, endlich über den Missbrauch reden zu können, sagt Katsch heute, und dabei zu erleben, dass er nicht alleine mit seinem Schicksal sei. Im Januar 2010 lösten die Berichte über den sexuellen Missbrauch von Schülern am Berliner Canisius-Kolleg eine Welle weiterer Enthüllungen aus. Es meldeten sich viele Betroffene aus kirchlichen Schulen und Internaten zu Wort, aber auch aus reformpädagogischen Bildungseinrichtungen wie der Odenwaldschule in Hessen. Der Missbrauchsskandal erschütterte die Republik.

Es wird weiter geschwiegen

Doch nun, fünf Jahre nach dem Bekanntwerden der Vorfälle, gerät die Aufarbeitung an ihre Grenzen. Sie gehe "schleppend" voran, sagt Johannes-Wilhelm Rörig, der Beauftragte der Bundesregierung für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs. Zwar sei die Sensibilität für das Thema gewachsen und Gesetze seien verschärft worden. Aber, beklagt Rörig: "Viele Tausend Mädchen und Jungen sind heute noch schutzlos sexueller Gewalt ausgesetzt."

Nach den bisherigen Erfahrungen der Betroffenen zeigen die Institutionen, in denen sie als Kinder oder Jugendliche sexuell missbraucht wurden, meist nur wenig Aufklärungselan. So würden sich etwa Missbrauchs-Verfahren vor der Glaubenskongregation in Rom qualvoll lange hinziehen. Seit 1991 liege seine Akte im Vatikan, berichtet Matthias Katsch, heute Sprecher des Betroffenen-Netzwerks "Eckiger Tisch". Die Antwort bisher: Keine. "Alle Wege führen nach Rom, und da ist ein großes Loch", beschreibt Katsch diesen Zustand der Intransparenz.

Zwei katholische Bischöfe mit gefalteten Händen, Foto: dpa
Der Vatikan verschleppe die Aufarbeitung von Missbrauchsfällen in der katholischen Kirche, beklagen OpferBild: picture-alliance/dpa

Auch Jesuitenpater Klaus Mertes kritisiert das "bedrückende Schweigen" der Kirche, dem er sich persönlich nicht angeschlossen hat: Als er Leiter des Canisius-Collegs war, sprachen ihn ehemalige Schüler auf Missbrauchsfälle aus den 1970er und 1980er Jahren an. Die kehrte er nicht unter den Teppich, sondern machte sie vor fünf Jahren durch einen Rundbrief öffentlich - und löste damit eine Lawine aus. Noch immer, so Mertes, gebe es aber "ein hohes psychisches Interesse" seitens der Kirche, Informationen über Missbrauch gar nicht erst zur Kenntnis zu nehmen.

"Der Blick von außen ist unverzichtbar"

Die Gründe für das Schweigen und Vertuschen, das die Betroffenen das "zweite Verbrechen" nach dem eigentlichen Missbrauch nennen, liege häufig im System selbst, in den "Netzwerken", die den Täter decken. Hinter diese Kulissen zu schauen und befriedigende Antworten zu erhalten, hat sich für die Betroffenen als besonders schwierig erwiesen. "Wir sind noch nicht sehr weit gekommen", sagt Adrian Koerfer, der als Schüler der privaten, reformorientierten Odenwaldschule sexuell missbraucht wurde und sich nun damit abmüht, die Netzwerke auszuleuchten.

Die Konsequenz aus diesen Erfahrungen: Eine glaubwürdige Aufklärung dürfe nicht nur den Institutionen selbst überlassen bleiben, sondern müsse auch von unabhängiger Seite betrieben werden. Das fordern die Betroffenen ebenso wie der Missbrauchs-Beauftragte Rörig. Der Jurist wirbt schon länger beharrlich für die Einrichtung einer unabhängigen Kommission, die die Missbrauchsfälle weiter aufarbeiten soll. Familienministerin Manuela Schwesig (SPD) hat ihre Unterstützung bereits zugesagt. Am kommenden Freitag (30.01.2015) wird der Bundestag über die Einrichtung einer solchen Kommission beraten.

Johannes-Wilhelm Rörig, Beauftragter der Bundesregierung für Fragen des sexuellen Missbrauchs. Foto: dpa
Johannes-Wilhelm RörigBild: picture-alliance/dpa

Entschädigungsfrage noch offen

Eine der Fragen, die die Kommission klären könnte: Was ist eine angemessene Entschädigung für die Opfer, die vielfach ihr Leben lang unter den Folgen leiden, von denen einige krank und nicht arbeitsfähig sind? 5000 Euro erhalten die betroffenen ehemaligen Schüler des Canisius-Kollegs - nicht als Entschädigung, sondern als "Anerkennungszahlung". Für Pater Klaus Mertes "ein ärmliches Zeichen, aber ein Zeichen".

Welche Zahlung die Betroffenen als angemessen empfinden, spielte bisher keine Rolle. In Irland erhielten die Opfer 60.000 bis 65.000 Euro von der katholischen Kirche, das könnte für die Betroffenen in Deutschland eine Orientierungsmarke sein. "Ich finde es wichtig, dass im Rahmen der Kommission ein gesellschaftlicher Diskurs zur Entschädigung geführt wird", betont Rörig. Die Erwartungen an die Kommission, die 2016 ihre Arbeit aufnehmen könnte, sind jetzt schon hoch: Da, wo die Opferorganisationen nicht weiterkommen, soll die Kommission in die Bresche springen - auch wenn sie am Ende lediglich Empfehlungen aussprechen kann.