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Wir lassen uns nicht einschüchtern!

Felix Steiner25. Oktober 2014

Angst ist ein schlechter Ratgeber. Trotz der Gefahr von Anschlägen durch IS-Kämpfer, Dschihadisten oder andere Verrückte dürfen die westlichen Gesellschaften ihre Prinzipien nicht aufgeben, fordert Felix Steiner.

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Bild: picture-alliance/dpa

Erst die Attacke mit dem Auto auf zwei Uniformierte in Montreal, zwei Tage später dann der Angriff auf die Ehrenwache am Kriegerdenkmal und die Schießerei im Parlament von Ottawa, schließlich der Angriff auf Polizisten in New York. Die Opfer - zufällig ausgewählt. Genau wie die Opfer des Anschlags auf das jüdische Museum in Brüssel im Mai. Oder den britischen Soldaten, der ein Jahr zuvor auf offener Straße in London von zwei Angreifern buchstäblich zerhackt wurde. Die jeweiligen Täter: fanatische Muslime. Diese wahllose Gewalt mitten in Metropolen der westlichen Welt macht Angst. Soll Angst machen. Denn das ist das Wesen von Terrorismus.

Ja - auch in Deutschland kann so etwas passieren. Heute schon. Oder morgen. Denn fanatisierte Muslime gibt es auch hier. Mehr als 450 von ihnen sollen bereits nach Syrien oder in den Irak ausgereist sein, um sich dort den Terroristen des "Islamischen Staates" anzuschließen. Und rund 100 sollen schon wieder nach Deutschland zurückgekehrt sein. Noch stärker radikalisiert, als sie es bei ihrer Ausreise schon waren. Kampferfahren. An Brutalität gewöhnt. Potenziell tickende Zeitbomben, wie Sicherheitsexperten sagen.

Die Sehnsucht nach absoluter Sicherheit

Wie also mit dieser Gefahr umgehen? Können wir uns davor schützen? Wir, die wir auf Sicherheit so viel Wert legen, und inzwischen auf dem Fahrrad wie beim Skifahren einen Helm tragen. Weil wir uns schützen wollen. Wenn wir ehrlich zu uns selbst sind, dann müssen wir zugeben: Es gibt keinen absoluten Schutz. Nicht vor Tätern wie in Montreal, Ottawa, Brüssel oder London.

Ist das tragisch? Nein! Denn auf absoluten Schutz verzichten wir in vielen Bereichen unseres Lebens. Auf der Autofahrt in den Urlaub oder beim Putzen der Fenster verunglücken in Deutschland Jahr für Jahr deutlich mehr Menschen tödlich als durch Terrorismus umkommen. Und dennoch verzichtet niemand auf die Urlaubsreise oder lebt hinter blinden Scheiben.

Stephen Harper tat das einzig Richtige

Mein Held der Woche heißt Stephen Harper. Der kanadische Premierminister hat nach dem zweiten Anschlag in dieser Woche seinem Volk eine selbstbewusste und die einzig mögliche Ansage gemacht: "Wir lassen uns nicht einschüchtern!"

Wir lassen uns nicht einschüchtern. Das heißt nichts anderes als: Wir wollen eine offene Gesellschaft bleiben. Wir wollen eine freie Gesellschaft bleiben. Und wir wollen eine rechtsstaatliche Gesellschaft bleiben.

Deutsche Welle Felix Steiner
DW-Redakteur Felix SteinerBild: DW/M.Müller

Deswegen muss in den freien Gesellschaften des Westens weiterhin jeder unbehelligt und frei von Generalverdacht leben können - ganz gleich, ob er Christ, Jude, Muslim, Buddhist oder ungläubig ist. Und deswegen bleiben diese Gesellschaften offen für Zuwanderung. Erst recht, wenn Menschen in ihrer Heimat an Leib und Leben bedroht sind. "Wir nehmen nur noch Christen auf" kann jedenfalls keine Lösung sein für ein Land, das sich dem Prinzip der offenen Gesellschaft verpflichtet fühlt.

Wir sind ein freies Land, und wir werden uns weiterhin Freiheiten nehmen. Wir werden Weihnachtsmärkte veranstalten und sie zu Tausenden besuchen. Wir werden in Fußballstadien gehen und dort auch als Männer Frauen beim Kicken zusehen - selbst wenn sie kurze Hosen tragen! Wir werden ganz einfach weiterleben wie bisher. Und so wenig wie nur irgend möglich darüber nachdenken, wo und in welcher Person wohl eine Gefahr lauern könnte.

Toleranz und Rechtsstaatlichkeit

Eine freie Gesellschaft ist vor allem eine tolerante Gesellschaft. Hier darf jeder denken und sagen, was er will. Die Toleranz endet erst dort, wo das Tun des Einzelnen die Freiheit anderer einschränkt. Und vor allem auch dort, wo es um die Grundlagen unseres Zusammenlebens geht: Es ist eine spezifisch deutsche Lehre aus der Geschichte, dass der Staat seine Feinde nicht gewähren lassen muss. Deswegen ist das Verbot dschihadistischer Propaganda in Deutschland vollkommen in Ordnung und steht nicht im Gegensatz zu diesen Prinzipien.

Die Stärke einer Gesellschaft erweist sich vor allem in der Krise: Wenn sie auch Feinden gegenüber ihren Prinzipien verpflichtet bleibt. Und nicht nur aufgrund allein eines Verdachtes Telefone abhört, verhaftet, Pässe einzieht oder Staatsbürgerschaften aberkennt. Oder einen rechtsfreien Raum wie Guantanamo schafft. Rechtsstaatlichkeit ist ein Wert an sich. Vor unseren Gesetzen sind alle gleich. Auch wenn die Radikalen uns jede Würde aberkennen und Bürger unserer Länder vor laufenden Kameras bestialisch abschlachten: Wir werden die Täter entsprechend Recht und Gesetz behandeln.

Wir lassen uns nicht einschüchtern - alles andere wäre ein Sieg des Terrorismus.