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Wahrheit in der Ideologie suchen

Matthias von Hein2. Februar 2015

China will Lehrbücher mit westlichen Werten aus seinen Universitäten verbannen. Der West-Import Marxismus fällt wohl nicht darunter. Die ideologische Kontrolle zieht weiter an, meint Matthias von Hein.

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Universität Peking. (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

"Die Wahrheit in den Tatsachen suchen" - das war eine der zentralen Maximen von Deng Xiaoping, dem Architekten der chinesischen Reform- und Öffnungspolitik. Und damit ist China augenscheinlich weit gekommen. Dengs Nachfolger aber scheinen von diesem Weg abweichen zu wollen. Für sie scheint die Wahrheit in der Ideologie zu liegen. Jedenfalls wird die von Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping initiierte Kampagne der ideologischen Kontrolle ausgeweitet.

Nach den Medien und dem Internet steht jetzt die ohnehin schon eingeschränkte akademische Freiheit vor weiteren Beschneidungen: Lehrbücher mit westlichen Werten sollten künftig aus Chinas Universitäten verbannt werden. So forderte es Bildungsminister Yang Guiren auf einer Konferenz mit Hochschulvertretern.

Wachsender Druck auf kritische Denker

Wenige Tage zuvor hatte ein Parteiblatt zwei vermeintliche Vertreter westlicher Werte angegriffen: einen Professor und einen Maler. Und kürzlich waren die Universitäten aufgefordert worden, die Propaganda auszuweiten und die Lehre des Marxismus und des "Sozialismus mit chinesischen Merkmalen" zu verstärken. All das passt ins Bild: Schon zu Beginn der Ära Xi Anfang 2013 war ein internes Parteidokument bekannt geworden, das vor "westlichen Wertvorstellungen" mahnte. Explizit aufgeführt waren da unter anderem Gewaltenteilung, Rechtsstaatlichkeit, Medien- und Meinungsfreiheit sowie Achtung der Zivilgesellschaft.

Matthias von Hein (Foto: DW)
DW-Redakteur Matthias von HeinBild: DW

Seither hat die Regierung den Druck auf Andersdenkende massiv erhöht. Oppositionelle wurden auf breiter Front ebenso inhaftiert wie ihre Anwälte. Etwa Ilham Tohti, ein gebürtiger Uigure aus der muslimisch geprägten Region Xinjiang und bis zu seiner Verhaftung im Januar 2014 Hochschullehrer in Peking. Wegen seiner moderaten Kritik an der Nationalitätenpolitik in China wurde Tohti zu lebenslanger Haft verurteilt.

Journalisten werden ständig mit noch strengeren Vorschriften gegängelt. Und seit Ende Januar stört Chinas Internetzensur auch die VPN-Dienste, mit denen die User gesperrte Webseiten aus dem Ausland erreichen konnten. Das Land brauche neue Methoden, um neue Probleme zu bewältigen, erklärte dazu knapp Wen Ku, Direktor für Telekommunikation im Ministerium für Industrie und Information (MIIT). Dass sich seit diesem Jahr Internetuser in Chinas mit ihrem richtigen Namen im Netz registrieren müssen, ist da schon fast Nebensache.

Machterhalt geht über alles

Diese Entwicklungen zeigen vor allem eines: Ein grenzenloses Misstrauen der Regierenden gegenüber den Regierten und damit verbunden der unbedingte Wille der Partei zur Macht und zum Machterhalt. In den Wikileaks-Depeschen kann man lesen, wie Xi Jinping von einem ehemals engen Freund eingeschätzt wird. Der soll 2009 gesagt haben: "Xi ist nicht korrupt und interessiert sich nicht fürs Geld. Aber er könnte durch Macht korrumpiert werden."

Inzwischen hat Xi Jinping mehr Macht in seinen Händen konzentriert als jeder seiner Vorgänger seit Ende der 70er Jahre. Damit das so bleibt, wird gegen alles und jeden vorgegangen, was die Partei und ihr Personal in einem schlechten Licht erscheinen lässt. Offensichtlich zählen dazu auch westliche Wertvorstellungen. Es entbehrt nicht der Ironie, dass auch der Marxismus ein West-Import aus Deutschland ist. Und dass Ministerpräsident Li Keqiang in jungen Jahren juristische Texte aus dem Westen übersetzt hat.