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Kommentar: Vorbild Tunesien, Mutterland der Arabellion

Loay Mudhoon23. Dezember 2014

Die Wahl des Politikveterans Essebsi zum ersten demokratisch gewählten Präsidenten Tunesiens stellt einen wichtigen Meilenstein auf dem Weg zur Etablierung einer echten arabischen Demokratie dar, meint Loay Mudhoon.

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Bildergalerie Teppiche aus Tunesien
Bild: DW/K. Mabrouka

Keine Frage: Die Wahl des früheren Regierungschefs Béji Caïd Essebsi zum ersten demokratisch gewählten Präsidenten in der Geschichte Tunesiens ist ein historisches Ereignis - nicht nur für das kleine Land in der Mitte Nordafrikas, sondern auch für alle arabischen Umbruchstaaten. Und das in mehrfacher Hinsicht.

Denn diese erfolgreiche und erstaunlich friedlich verlaufene Wahl markiert den Abschluss eines schwierigen demokratischen Übergangsprozesses im Mutterland der Arabellion.

Zugleich bestätigt sie die Vorreiterrolle, die Tunesien automatisch zuteil geworden ist in einer Region, die geprägt ist von postrevolutionärem Chaos, von Staatszerfall und von den Reformblockaden der unfähigen und autoritär regierenden Eliten.

Wer dachte schon, dass Tunesien es so schwer haben würde?

Dabei war es nicht zu erwarten, dass sich der Übergang von der Langzeitdiktatur Bin Alis in eine demokratische Zukunft so schwer gestalten würde. Tunesien besitzt eigentlich von allen postrevolutionären arabischen Staaten die besten Voraussetzungen für einen erfolgreichen Weg in Richtung Demokratie und Rechtsstaatlichkeit: Das Land hat eine relativ starke Zivilgesellschaft, eine selbstbewusste Frauenbewegung, gute innergesellschaftliche Vermittlungsinstanzen wie die Gewerkschaft UGTT, ein relativ gutes Bildungssystem und eine gut funktionierende Verwaltung. Zudem trat bislang das Militär als politischer Faktor kaum in Erscheinung.

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"Vorreiter Tunesien": Loay MudhoonBild: DW

Außerdem begann der Wandel nach dem Abgang Ben Alis vielversprechend und mit einem klaren Fahrplan: Nach den ersten demokratischen Wahlen zur verfassungsgebenden Versammlung in der Geschichte des Landes im Oktober 2011 einigten sich die Wahlsieger überraschend schnell auf die Bildung einer Koalitionsregierung und auf die Aufteilung der wichtigsten Staatsämter.

Ägypten, das abschreckende Beispiel

Doch ab Oktober 2012 begann der Transformationsprozess zu stagnieren. Auf die für diesen Zeitpunkt angekündigte Verfassung warteten die Tunesier damals vergeblich. Die gesellschaftliche und politische Polarisierung verschärfte sich, insbesondere nach dem kaltblütigen Mord an Oppositionspolitiker Chokri Belaïd.

Doch die dramatischen Ereignisse in Ägypten zeigten den postrevolutionären Eliten in Tunesien eindrucksvoll, wohin extreme Polarisierung und ideologische Grabenkämpfe führen können. Dort hat das ägyptische Militär im Juli 2013 den demokratisch gewählten, islamistischen Präsidenten Mohammed Mursi nach tagelangen Massendemonstrationen abgesetzt und die Muslimbruderschaft, die Mutterorganisation des politisches Islams, kurzerhand verboten. Eine fast vollständige Restauration des alten Mubarak-Regimes erfolgte. Seitdem wird das Land von Terrorangriffen regelmäßig erschüttert, die wirtschaftliche und gesellschaftliche Krise verschärft sich und droht das Land unregierbar zu machen.

Lernen aus den Fehlern der Muslimbrüder

Selbstverständlich war es nicht zu erwarten, dass das schwere Erbe der Diktatur ohne heftige, innergesellschaftliche Konfrontation überwunden werden kann. Doch die Art und Weise, mit der die Tunesier die Auseinandersetzung um ein neues Staatsverständnis und ein frei ausgehandeltes Gesellschaftsmodell ausgetragen haben, die war entscheidend.

Die islamistische Ennahda-Bewegung lernte aus den Fehlern der überforderten und realitätsfremdem Muslimbrüder in Ägypten und entschied sich für einen echten, nationalen Dialog. Und so verhielt sie sich im Verfassungsprozess pragmatisch und verzichtete auf islamische Bezüge in der Verfassung.

Dadurch konnten sich alle politischen Kräfte auf die wohl fortschrittlichste Verfassung im Mittleren Osten einigen, die einen Ausgleich zwischen säkularen und religiös orientierten Bürgern garantiert.

Wahl geglückt - jetzt muss Essebsi handeln

Nun warten auf den früheren Regierungschef und neuen Präsidenten Béji Caïd Essebsi und seine säkular-nationalistische Sammelbecken-Bewegung "Nidaa Tounes" große Aufgaben. Nicht nur die Stabilisierung der Sicherheitslage im Lande und die Durchführung von grundlegenden Reformen im Sicherheitssektor sind dringend nötig, sondern auch die Ankurbelung der Wirtschaft, die seit der Beseitigung der Diktatur am Boden liegt.

Damit dies gelingen kann, muss Essebsi, der sich im Wahlkampf auf die Netzwerke des alten Regimes stützte, pragmatische und lösungsorientierte Islamisten effektiv einbinden - vor allem bei der Bekämpfung der tickenden Zeitbombe in Tunesien, der hohen Arbeitslosigkeit.

Sonst besteht die große Gefahr, dass die Jugend Tunesiens den Glauben an die Ziele und Errungenschaften der Revolution verliert - und sich von der neuen, hart erkämpften Ordnung abkoppelt.