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Von der Geschichte eingeholt

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Gero Schließ
20. Mai 2015

Der Irak-Krieg wird zum Wahlkampfthema in den USA. Das bringt die republikanischen Präsidentschaftskandidaten in Erklärungsnot und zeigt die Zerrissenheit der amerikanischen Gesellschaft, meint Gero Schließ.

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Etappen des Irakkrieges Gestürzte Saddam-Statue
Bild: picture-alliance/AP Photo

Schon lange nicht mehr hat man amerikanische Spitzenpolitiker so hilflos im Fernsehen gesehen. Das Zauberwort, das sie stottern lässt und ins Schwitzen bringt, heißt "Irak". Ob Jeb Bush, Marco Rubio, Ted Cruz oder Rand Paul: Sie alle werden gefragt, wie sie es mit dem Irak-Krieg halten. Es ist kein Zufall, dass es sich dabei ausnahmslos um Politiker der Republikaner handelt, die sich offiziell um die Präsidentschaft bewerben oder - wie Jeb Bush - Kandidaten im Wartestand sind.

Vor allem der Bruder des früheren Präsidenten und Marco Rubio haben sich bis heute nicht eindeutig positioniert zu dem von George W. Bush angezettelten Irak-Feldzug. Nun rächt sich, dass sich die Republikaner - und mit ihnen Teile es Landes - nicht ehrlich gemacht haben zu diesem Krieg, der Tausenden von Menschen den Tod und einer ganzen Region fortwährende Instabilität gebracht hat.

Irrtum oder vorsätzlicher Betrug?

War es falsch, in den Irak einzumarschieren? War es schlicht ein Fehler oder gar vorsätzlicher Betrug, gezinkte Geheimdienstinformationen über angebliche Massenvernichtungswaffen Saddam Husseins als Kriegsgrund anzuführen? Wie würden die Politiker, die einmal Präsident der Vereinigten Staaten werden wollen, heute entscheiden? Bisher drückten sie sich um eindeutige Antworten und kamen damit gut über die Runden.

Denn nicht ganz zu unrecht gelten die USA als eine Nation, die aus ihren Fehlern nicht lernen muss. Zu weit weg ist der Gegner und zu übermächtig das eigene Militär und die Wirtschaftskraft, als dass man mit den Folgen seiner Fehler konfrontiert und daher gezwungen werden könnte, Schlüsse daraus zu ziehen.

Im Fall des Irak-Feldzugs könnte es anders kommen. Denn täglich lässt sich im Fernsehen das blutige Chaos besichtigen, das den Irak seit dem Abzug der amerikanischen Truppen erschüttert und die staatliche Ordnung kollabieren lässt. Aufrüttelnd sind die Bilder der Brutalitäten, die vom selbsternannten "Islamischen Staat" ausgehen.

Gelegenheit für eine Revanche

All das fällt jetzt genau in die Zeit des Vorwahlkampfs in den USA. Eine perfekte Gelegenheit für die Kriegsgegner von einst, zurückzuschlagen und Revanche zu nehmen. Und damit vielleicht ein Wahlkampfthema zu setzen, das entscheidenden Einfluss auf den Ausgang der Präsidentschaftswahlen im nächsten Jahr haben könnte.

Doch dabei darf es nicht bleiben. Mehr als zehn Jahre nach dem Irak-Krieg haben die Amerikaner jetzt die Chance, mit sich und einem wichtigen Kapitel ihrer Geschichte ins Reine zu kommen. Dabei ist klar, dass mittlerweile die meisten Amerikaner der Überzeugung sind, dass der Irak-Feldzug keine gute Idee war. Uneinigkeit herrscht dagegen darüber, ob "Fehler oder Lügen" zu der Entscheidung führten, wie es Paul Krugman von der New York Times in einer scharfen Abrechnung mit George W. Bush, seinem Vizepräsidenten Cheney und Verteidigungsminister Rumsfeld formulierte.

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Gero Schließ, DW-Korrespondent in Washington

Krugman sagt klar, die Amerikaner seien in den Krieg "hineingelogen" worden. So wie es aussieht, hat er recht. George W. Bushs Bruder Jeb und die anderen republikanischen Präsidentschaftskandidaten wollen davon nichts wissen. Sie bleiben hartnäckig dabei, dass die Bush-Administration aufgrund der damals vorliegenden Informationen der Geheimdienste richtig entschieden habe. Während sich die Republikaner in wortklauberischen Rechthabereien verwickeln, hebt sich die demokratische Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton wohltuend von ihnen ab. Im US-Senat hatte sie damals für den Krieg gestimmt. Jetzt räumt sie freimütig ein, dass sie einen Fehler gemacht hat.

Wie würde welcher Präsident heute entscheiden?

Bei der wieder aufgeflammten Diskussion um den Irak-Krieg geht es nicht nur um Geschichte, sondern auch um Gegenwart und Zukunft. Das macht sie so prekär. Wie würden Jeb Bush oder Marco Rubio heute in einem gleichgelagerten Fall entscheiden? Wie weit würden sie im Irak, in Syrien oder in der Ukraine gehen? Müssen sich Deutschland und die europäischen Verbündeten auf neue militärische Abenteuer einstellen? Dass die ehemaligen Berater von George W. Bush heute die Ratgeber von Bruder Jeb und der anderen republikanischen Präsidentschaftskandidaten sind, lässt nichts Gutes erwarten.

Diese Kandidaten jedenfalls haben die Reifeprüfung für das Amt des US-Präsidenten noch nicht bestanden. Hillary Clinton hat sich hingegen mit ihrem Eingeständnis rechtzeitig zum aufziehenden Wahlkampf eine Last von der Schulter genommen.

Wie in einem Brennspiegel zeigen diese unversöhnlichen Positionen, wie tief gespalten die Amerikaner und ihr politisches Establishment sind. Der nächste Präsident steht vor der Herkulesaufgabe, das Land wieder zusammenzuführen. Doch die Aufgabe scheint kaum lösbar. Schon der gegenwärtige Amtsinhaber Barack Obama ist mit diesem Vorsatz angetreten - und gescheitert.