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Kommentar: Türkei schießt Eigentore

Thomas Seibert, Istanbul25. April 2015

Mit den Drohungen gegenüber Deutschland und anderen wichtigen internationalen Partnern wegen deren Bewertung der Massaker an den Armeniern, hat die Türkei beträchtlichen Flurschaden angerichtet, meint Thomas Seibert.

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Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan bei einer Rede (Foto: AP)
Bild: picture-alliance/AP Photo

Selten hat die Türkei in so kurzer Zeit so viele verschiedene internationale Akteure rhetorisch angegriffen. Der Papst wurde ebenso bedacht wie das EU-Parlament, dann war Österreich an der Reihe. Schließlich wurden - in einer Serie von fast im Minutentakt veröffentlichten Erklärungen des Außenamtes - Deutschland, Frankreich, Russland und die USA wegen ihrer Positionen im Streit um die Bewertung der Massaker an den Armeniern vor hundert Jahren attackiert.

"Das türkische Volk wird nicht vergessen und verzeihen"

Im Falle Deutschlands betonte Ankara, das türkische Volk werde die Worte von Bundespräsident Joachim Gauck vom Völkermord an den Armeniern nicht vergessen und nicht verzeihen. Zugleich warnte die türkische Regierung den Bundestag in Berlin vor der Verabschiedung seiner geplanten Resolution, in der ebenfalls von einem Genozid an den Armeniern in den Jahren 1915 bis 1917 die Rede ist.

Die Präsidenten der USA, Russlands und Frankreichs, Barack Obama, Wladimir Putin und Francois Hollande, zogen den Zorn Ankaras auf sich, weil sie ebenfalls an die Massaker erinnert hatten. Dabei hatte Obama mit Rücksicht auf den wichtigen NATO-Partner das "V-Wort" nicht einmal benutzt.

Konsequenzen fraglich

Innerhalb weniger Stunden hatte Ankara damit drei der fünf Ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrates und mit Deutschland auch noch seinen wichtigsten Handelspartner verbal attackiert. Wenige Wochen vor der türkischen Parlamentswahl am 7. Juni kommt das bei rechtsgerichteten Wählern wahrscheinlich gut an. Möglicherweise war das ein Motiv für die Welle wutschnaubender Erklärungen.

DW-Korrespondent Thomas Seibert (Foto: Thomas Seibert)
DW-Korrespondent Thomas SeibertBild: Thomas Seibert

Doch außenpolitisch wird die Türkei erkennen müssen, dass solche übertriebenen Zornes-Ausbrüche eher schaden als nützen. Erstens gibt es in den betroffenen Ländern kaum einen Regierungspolitiker, der die Episteln aus Ankara ernst nimmt. Dazu hat die Türkei in der Vergangenheit wegen der Armenier-Frage zu oft mit großer Entrüstung politische und wirtschaftliche Gegenmaßnahmen gegen Partnerländer angekündigt, um dann stillschweigend zur Tagesordnung überzugehen.

Außenpolitische Isolation

Zweitens verstärken die türkischen Wutausbrüche die Zweifel an der Verlässlichkeit des wichtigen Partners des Westens. Dass die türkische Regierung die Einstufung der Massaker an den Armeniern als Völkermord nicht hinnimmt, ist angesichts der innenpolitischen Lage im Land und den Jahrzehnten der Leugnung der Verbrechen noch einigermaßen verständlich. Dass Ankara aber wichtigen Verbündeten mit spektakulärer Geste beinahe die Freundschaft aufkündigt, nur weil diese der türkischen Position nicht folgen wollen, dürfte einigen Politikern und Beamten im Westen zu Denken geben.

Schon seit einiger Zeit findet die Türkei Gefallen daran, sich als Regionalmacht zu präsentieren, deren unaufhaltsamer Aufstieg von ausländischen Mächten gebremst werden soll, weil Europa und die USA einen neuen Rivalen fürchten. Dieses merkwürdige Weltbild ist Teil der Gründe hinter dem Streit um die Armenier-Frage und wurde gerade in den vergangenen Tagen von der regierungsnahen Presse in Ankara und einigen Beratern von Präsident Recep Tayyip Erdogan verstärkt vertreten. Mag sein, dass Erdogan und seine Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung (AKP) auf diese Weise im türkischen Wahlkampf bei nationalistischen Wählern punkten können. International führt dieser Kurs jedoch in die Isolation.