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Tiefe Trauer um Tugce

Verica Spasovska1. Dezember 2014

Deutschland hat eine neue Heldin gewonnen und gleichzeitig eine lebensfrohe junge Frau verloren. Das Land trauert um die Deutsch-Türkin Tugce. Ihr Tod war hoffentlich nicht umsonst, meint Verica Spasovska.

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Mahnwache für Tugce vor Klinik in Offenbach 28.11.2014
Bild: picture-alliance/dpa/Roessler

Tugce, die mutige Studentin mit den türkischen Wurzeln, hat ihren Einsatz für Schwächere mit dem Leben bezahlt. Sie hat sich beherzt zwischen Schlägertypen und wehrlose junge Mädchen gestellt und ist selber zum Opfer geworden. Tugce starb an ihrem 23. Geburtstag an den Folgen einer brutalen Prügelattacke. Und ganz Deutschland trauert um diese tapfere, lebensfrohe junge Frau. Ganz Deutschland verneigt sich in Hochachtung und Respekt vor ihr.

Am Abend ihres Todes hielten Hunderte Menschen vor dem Krankenhaus, in dem sie lag, Mahnwache - bis die Geräte abgeschaltet wurden. Hunderttausende bekundeten in den sozialen Netzwerken ihr Mitgefühl und Bewunderung. Die Anteilnahme reicht bis weit in die Politik: Bundespräsident Gauck hat nicht nur ihren Eltern geschrieben und sein Entsetzen über ihren Tod ausgedrückt, sondern er überlegt, Tugce posthum das Bundesverdienstkreuz für ihre Zivilcourage zu verleihen.

Der Fall Dominik Brunner

Der entsetzliche Tod der jungen Deutsch-Türkin erinnert schlaglichtartig an einen ganz ähnlichen Fall, der sich vor fünf Jahren in Deutschland ereignete. Und doch ist diesmal Vieles anders. Damals hatte sich der Manager Dominik Brunner in einer S-Bahn schützend vor wehrlose Schüler gestellt und war selbst zu Tode geprügelt worden. Dass ihn sein Einsatz für Schwächere das Leben kostete, löste in Deutschland eine wochenlange Diskussion über den Preis und den Sinn von Zivilcourage aus. Auch Dominik Brunner wurde eine Welle der Anteilnahme und des Respekts zu teil.

Damals wie heute kann sich nämlich jeder selbst die Frage stellen: Wie hätte ich gehandelt, wenn andere, Schwächere in Gefahr sind? Hätte ich den Mut, so viel Zivilcourage aufzubringen und etwas zu riskieren, obwohl es für mich gefährlich werden könnte? Damals wie heute ist die überwiegende öffentliche Meinung: Es ist richtig, dazwischen zu gehen, auch wenn der Preis für diesen Einsatz im schlimmsten Fall entsetzlich hoch ist. Dominik Brunners Schicksal war bald wieder aus den Schlagzeilen verschwunden. Wird auch Tugces Tod bald dem Vergessen anheim fallen? Hoffentlich nicht! Denn bei allen Parallelen zu Dominik Brunners Tod spielt dieses Mal noch etwas anderes eine Rolle: Tugces tragischer Tod birgt eine Chance, weil sie unseren Blick auf die negativ geprägte Einwanderungsdebatte verändern könnte.

Verica Spasovska
DW-Redakteurin Verica SpasovskaBild: DW/M. Müller

Integrierte Migranten, die Deutschland braucht

Viel zu oft verengt sich die Diskussion um Einwanderung in Deutschland auf die Problemfälle, auf die Randgruppen, auf diejenigen Zuwanderer, die sich nicht integrieren wollen und in ihrer Parallelwelt leben. Diesmal aber hat die Heldin selbst Migrationshintergrund. Wir schauen auf eine junge Frau mit türkischen Wurzeln, die Lehrerin werden wollte und an ihrem gesellschaftlichen Fortkommen interessiert war. Auf eine Studentin, die sich für ein friedliches Miteinander eingesetzt hat. Auf eine Repräsentantin jener großen Gruppe von Menschen mit ausländischen Wurzeln, die maßgeblich zur gesellschaftlichen Entwicklung in Deutschland beiträgt. Und von der Deutschland in höchstem Maße profitiert: demographisch, wirtschaftlich, kulturell. Diese Erkenntnis wird durch zahlreiche Studien belegt. Aber Daten, Zahlen, Fakten haben kaum Einfluss auf die meist emotional geführte öffentliche Diskussion. Es ist wie so oft das Einzelschicksal, das sich uns einbrennt. In diesem Fall ist es eine mutige, schöne, junge Deutsch-Türkin, die jetzt einen Platz in den Herzen der Deutschen hat.