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Russland ignoriert historische Schuld gegenüber Polen

Bartosz Dudek17. September 2014

Am 17. September 1939 marschierte die Rote Armee in Polen ein. Heute verspielt Russland eine Chance, die Deutschland bei der Konfrontation mit den Fehlern der Vergangenheit nutzen konnte, meint Bartosz Dudek.

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Ein Massengrab mit Überresten von Polen, die die Rote Armee erschossen hat (Foto: dpa)
Ausgrabungen von Archäologen: Die Soldaten der Roten Armee haben viele erschossene Polen in Massengräbern verscharrtBild: picture-alliance/dpa

Noch am Abend des 17. September 1939 passierte Polens Staatspräsident Ignacy Moscicki die rumänische Grenze und wurde zusammen mit der polnischen Regierung interniert. Polen, das gerade 1918 nach 123 Jahren der Teilungen wiederhergestellt worden war, hörte an dem Tag auf, als unabhängiger Staat zu existieren.

Es war eine Wiederkehr der alten Traumata: Deutschland und Russland haben den gemeinsamen Nachbarn untereinander aufgeteilt - zum wiederholten Mal. Der Traum ganzer Generationen von Polen, die seit 1795 für ihren Staat in unzähligen Aufständen und auf unzähligen Schlachtfeldern, oft unter fremden Fahnen, kämpften und starben, lag wieder in Trümmern.

Hitler und Stalin haben gemeinsame Sache gemacht. Sie verfolgten im Grunde genommen das gleiche Ziel: Polens Streben nach Freiheit auf Dauer auszulöschen, die Bevölkerung zu terrorisieren und zu versklaven. Um das zu erreichen, mussten vor allem Polens Eliten eliminiert und die Schreckensherrschaft installiert werden. So kam es: 1940 errichteten Hitlers Schergen das Konzentrationslager Auschwitz in der Nähe von Krakau. Zunächst war es für polnische Eliten und sowjetische Kriegsgefangene vorgesehen, später wurde es zum Vernichtungslager für Juden aus ganz Europa ausgebaut. Tausende polnische Professoren, Lehrer, Geistliche und Adelige wurden dort und an unzähligen anderen Orten ermordet.

Zeitgleich erschossen Stalins Henker 22.000 polnische Offiziere in Katyn, Charkow und Mednoje, die von Beruf Juristen, Beamte, Wissenschaftler, Unternehmer oder Lehrer waren.

Bartosz Dudek, Leiter der Polnischen Redaktion der DW (Foto: DW)
Bartosz Dudek leitet die Polnische Redaktion der DWBild: DW/P. Henriksen

Hunderttausende von Polen sowohl im Westen als auch im Osten des geteilten Landes erlitten ein ähnliches Schicksal. Sie wurden massenweise umgebracht, vertrieben, verschleppt - die einen ins "Deutsche Reich", die anderen nach Sibirien oder Kasachstan. Eine Katastrophe, die es in der Geschichte des leidgeprüften polnischen Volkes so noch nie gegeben hatte - und deren Auswirkungen noch jahrzehntelang nach dem Krieg zu spüren waren.

Die "Beschützer" und ihre Schützlinge

Im kommunistischen Polen galt eine Sprachregelung: Am 17. September 1939 sei die Rote Armee in das damalige Ostpolen einmarschiert, um die mehrheitlich weißrussische und ukrainische Bevölkerung vor "deutschen Faschisten" und "polnischen Kapitalisten" zu "beschützen". Diese habe sich aber zeitnah fast zu 100 Prozent in den "demokratischen" Wahlen für den Beitritt zu Sowjetunion entschieden: Eine Taktik, die offensichtlich auch 75 Jahre später immer noch zum beliebten Repertoire der Kreml-Herrscher gehört.

Des deutschen Überfalls wird in Polen immer am 1. September gedacht. Seit 1989 wurde es zum Brauch, dass ein hochrangiger Vertreter der deutschen Regierung dabei ist. Ein derartiges Gedenken am 17. September mit einem russischen Regierungsvertreter ist dagegen undenkbar. Präsident Wladimir Putin, der ein einziges Mal am 1. September 2009 bei den Feierlichkeiten auf der Danziger Westerplatte dabei war, hat die sowjetische Aggression von 1939 mit keinem einzigen Wort erwähnt. Während sich die heutigen Deutschen schonungslos zu ihrer Schuld bekennen, ignorieren die Russen sie einfach. Zu groß ist offenbar der Stolz, um eigene geschichtliche Fehler zuzugeben. Zu gering das Interesse an dem aus Moskaus Perspektive kleinen Nachbar. Zu allgegenwärtig der imperiale Größenwahn. Und zu anachronistisch Putins Macht- und Politikverständnis.

Damit verspielt Russland die Chance, die Deutschland nutzte: Ein (beinahe) angstfreies, freundschaftliches und friedliches Verhältnis zum polnischen Nachbarn aufzubauen - zum Vorteil beider Seiten. Denn Polen und Deutschland sind heute, trotz der leidvollen Geschichte, mehr denn je in vielerlei Hinsicht zu engen Partnern und Freunden in Europa geworden.

Doch ohne ein echtes Schuldeingeständnis werden die dunklen Geister aus der Büchse der Pandora, die Hitler und Stalin am 1. und 17. September 1939 für Polen und die ganze Welt öffneten, niemals verstummen.