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Politischer Wirbelwind über Italien

Bernd Riegert22. Februar 2014

Der neue italienische Premier Matteo Renzi hat einen furiosen Start hingelegt. Wenn er dieses Tempo durchhält, könnte Italien sich tatsächlich wandeln. Das wäre gut für Europa, meint Bernd Riegert.

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Bernd Riegert (Foto DW/Per Henriksen 19.04.2013)

Der Generationswechsel an der Spitze der politischen Klasse Italiens ist in atemberaubender Geschwindigkeit gelungen. Respekt Matteo Renzi! Der ehemalige Bürgermeister von Florenz wird seinem Spitznamen nach einer Zeichentrick-Figur bislang voll gerecht: "Speedy Gonzalez" der italienischen Politik. Der gerade erst 39 Jahre alt gewordene Renzi hat erst im Dezember den Vorsitz der Demokratischen Partei übernommen, dann den alten Ministerpräsidenten zum Rücktritt gezwungen und jetzt in Rekordtempo ein Kabinett zusammengestellt. Und er sorgt gleich für eine Premiere: Es ist das erste Mal, dass in Italien die Regierung durch einen parteiinternen Putsch wechselt. Renzi will vier Jahre regieren, ohne sich den Wählern zu stellen. Viele Italiener bezweifeln seine Legitimation.

Der Sozialdemokrat, der sich als Pragmatiker und nicht als Ideologe sieht, hat in Windeseile eine Koalition mit der kleinen konservativen Partei von Innenminister Angelino Alfano geschmiedet. Auch das ging verblüffend reibungslos. Jetzt muss Renzi noch in beiden Kammern das vorgeschriebene Vertrauensvotum überstehen. Dann kann er loslegen. Jeden Monat will der Mann, der sich gerne mit dem ehemaligen britischen Premier Tony Blair und "New Labour" Mitte der Neunziger Jahre vergleicht, eine durchgreifende Reform des verkrusteten italienischen Systems auf den Weg bringen: Arbeitsmarkt, Verwaltung, Steuersystem, Justizwesen. An diesen Reformen sind in den letzten drei Jahren bereits drei Ministerpräsidenten gescheitert. Sollte Matteo Renzi das bewerkstelligen, wäre das ein ungeahnter Durchbruch.

Renzi will Italien völlig umkrempeln - mit Hilfe Berlusconis

Bemerkenswert ist die Taktik Matteo Renzis, den immer noch sehr wichtigen Strippenzieher im konservativen Lager, Ex-Ministerpräsident Silvio Berlusconi, in die Choreografie des Regierungswechsels einzubeziehen. Renzi hat sich mehrfach mit dem Chef der Partei "Forza Italia" getroffen, der auch ohne politisches Amt noch über einen großen Einfluss verfügt. Berlusconi lobt den politischen Gegner Renzi, weil er jung und dynamisch ist und den alten Silvio wohl ein wenig an den jungen Silvio erinnert, der selbst einmal auszog, das System in Italien umzukrempeln. Was genau Renzi Berlusconi versprochen hat, um ihn mit ins Boot zu holen, ist unklar. Beide haben eine Reform des komplexen und ungerechten Wahlrechts verabredet, das Berlusconi dem Land vor Jahren eingebrockt hat.

Matteo Renzi hat sein Kabinett radikal verkleinert und verjüngt. Ein Vorgeschmack auf die Verwaltungsreform in Italiens viel zu großem und zu teueren Staatsapparat. Die Minister sind teils unerfahren, teils Technokraten ohne politische Erfahrung. Renzi selbst war nie parlamentarisch oder politisch auf der nationalen Ebene aktiv. Das kann ein Vorteil für ihn sein, weil er ja aufräumen, abwracken will, wie er das nennt. Er muss keine Rücksichten auf bestehende Seilschaften nehmen. Der Rest Europas kann nur hoffen, dass es Renzi gelingt, Italien stabil aus der Wirtschaftskrise zu steuern. Denn Italiens Erholung ist entscheidend für den Fortbestand der Euro-Währungsgemeinschaft.

Kurswechsel in der Geldpolitik?

Den künftigen finanz- und wirtschaftspolitischen Kurs soll Pier Carlo Padoan als Minister bestimmen. Der bisherige Chef-Ökonom der Organisation für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit (OECD) war Direktor beim Internationalen Währungsfonds in Washington und früher Berater der italienischen Regierung. Der Wirtschaftswissenschaftler hat einiges an Verwaltungserfahrung vorzuweisen, ein politisches Amt hat er nie bekleidet. Padoan wird den Druck auf die Euro-Gruppe und die Europäische Zentralbank erhöhen, mehr Staatsschulden und eine lockere Geldpolitik zuzulassen. In der OECD hat er sich für das US-amerikanische Rezept ausgesprochen, die Finanzkrise zu bekämpfen: Quantitative Easing. Oder auf Deutsch: Gelddrucken. Er vertritt das Gegenteil dessen, was der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble bislang in Brüssel durchgesetzt hat. Das werden sehr interessante Sitzungen der Euro-Gruppe in den kommenden Monaten. Die neue Dynamik dürfte den Finanzmärkten erst einmal gefallen. Sie werden die Regierung Renzi noch nicht mit höheren Kosten für Staatsanleihen bestrafen.

Europawahl als Test

Die erste Bewährungsprobe hat die junge Regierung Renzi bereits Ende Mai zu bestehen. Bei den Europawahlen können die Italiener Renzi eine Bestätigung oder einen Denkzettel verpassen. Setzt Renzi die angekündigten Reformen tatsächlich im Schnellverfahren durch, könnte er Gewerkschaften, Staatsbedienstete und Rentner gegen sich aufbringen. Denn die müssten Opfer bringen. Auf der anderen Seite könnte er viele arbeitslose, ja im Moment hoffnungslose junge Akademiker zu den Sozialdemokraten ziehen. Er könnte sie von der Bewegung der Frustrierten und Enttäuschten, der "Bewegung Fünf Sterne" von Komiker Beppo Grillo, weglocken. Europa-Skeptiker Grillo könnte so eine Enttäuschung bei den Europawahlen erleben. Italien steht eine spannende Zeit bevor. Europa hofft auf ein stabiles Italien, das aus eigener Kraft aus der Wirtschaftskrise findet. Mut, Elan und Energie hat der neue Mann an der Spitze. Jetzt braucht er noch eine gehörige Portion Geschick und Glück.