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Putins Machtspielen ein Ende setzen

Karim Lahidji7. Februar 2014

Hinter dem unbefleckten Weiß des Schnees in Sotschi und den Werten des olympischen Geistes verbirgt sich ein finsteres Regime, das die Begriffe Toleranz und Freiheit nicht kennt, meint Gastkommentator Karim Lahidji.

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Karim Lahidji, Internationale Menschenrechtsliga (Foto: FIDH)
Karim Lahidji, Präsident der Internationalen Menschenrechtsliga FIDHBild: FIDH

36 Milliarden Euro: Die Winterspiele in Sotschi zeichnen sich bereits jetzt als die teuersten in der Geschichte der Olympischen Spiele ab. Wenn das eigentliche Ziel die Entwicklung einer bisher vernachlässigten Region oder die Abhaltung eines Sportevents zur Zelebrierung der Freundschaft zwischen den Völkern gewesen wäre, ließe sich dieses verschwenderische Aufgebot an Mitteln noch halbwegs erklären. Hauptgrund für diese jeden Rahmen sprengende Sportveranstaltung dürfte jedoch die Krönung der Herrschaft Wladimir Putins auf der Weltbühne sein. Und gleichzeitig damit die Absegnung einer in Sachen Grundfreiheiten katastrophalen Innenpolitik sowie einer Außenpolitik, die in Syrien eher einer Mittäterschaft bei Verbrechen gegen die Menschlichkeit gleicht.

Ein Jahr des "Erfolgs" auf allen Linien

Im Dezember 2013 hat die "Times" den russischen Präsidenten zum "Mann des Jahres" gekürt. Eine Auszeichnung, die eher nach Provokation klang, da das konservative britische Magazin kaum im Verdacht steht, moskaufreundlich gesinnt zu sein. Zugegebenermaßen ist dieser Titel dennoch gerechtfertigt. Denn bezüglich der Polemiken um den ehemaligen KGB-Offizier und jetzigen Präsidenten war 2013 für ihn effektiv ein Jahr des Erfolgs auf allen Linien.

Zunächst international, wo er mit dem Iran die Rolle des unverbrüchlichen Verbündeten des Assad-Regimes in Syrien übernahm und mit Waffenlieferungen und seiner zynischen Haltung im UN-Sicherheitsrat die zigtausenden Zivilopfer dieses nicht enden wollenden Konflikts mit Verachtung strafte. Diese Position hat ihm im Übrigen im Dezember 2013 einen saftigen Vertrag zur Erdöl- und Erdgasexploration in den Hoheitsgewässern Syriens eingebracht.

Dann in der Ukraine, wo es ihm angesichts der naiven, nicht sehr großzügigen und relativ herablassenden Position Europas nicht schwer fiel, Präsident Janukowitsch zu überzeugen, das Land dem beherrschenden Einfluss des russischsprachigen Flügels zu überlassen. Die Abkommen zwischen der EU und der Ukraine wurden mit einem Handstreich hinweggefegt. Angesichts des Unmuts der proeuropäischen Bevölkerung provozierte Janukowitsch mit Unterstützung des russischen Nachbarn eine Krise, die das Zentrum von Kiew in ein wahres Schlachtfeld verwandelte.

Gängelung der Zivilgesellschaft

Innenpolitisch erinnert die Gängelung der wichtigsten NGOs - wie die erzwungene Selbstauflösung des Memorial-Zentrums gegen Diskriminierung, um sich nicht im Justizministerium als "Auslandsagent" eintragen lassen zu müssen - an die düsteren Zeiten, als die Dissidenten gegen ein kaltes Ungeheuer von unerbittlicher Härte ankämpften, das ihnen keinerlei Freiraum ließ. Im Übrigen war Wladimir Putin eines der eifrigsten Mitglieder dieses kalt und unerbittlich handelnden Ungeheuers, dessen Methoden und Denkweise er beibehalten hat und dessen Doktrin, die "Diktatur des Gesetzes", die er selbst über Jahre hinweg mitgestaltet hat, er treu geblieben ist. Journalisten, NGO-Aktivisten, Künstler, Intellektuelle, einfache Demonstranten: Alle, die irgendwie als Bedrohung angesehen werden, werden überwacht, rechtlich bedrängt, verhaftet oder körperlich angegriffen. Es lässt sich heute mit Gewissheit sagen, dass Russland die schlimmste Welle der Repression seit Ende des Kalten Kriegs erlebt.

Unter den die Freiheiten am stärksten beschneidenden Maßnahmen der letzten Zeit ist die Verstärkung des Instrumentariums zur Bekämpfung von Terrorismus und Extremismus zu nennen, die sich in den weiter gefassten Rahmen der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SCO) mit China und vier zentralasiatischen Staaten fügt. Die Festlegungen sichern den damit betrauten Kräften in einem umfassenden geografischen Raum völlige Straffreiheit zu. Maßnahmen, die ebenso gefährlich wie ineffizient sind, wie es im Dezember 2013 die Anschläge in Wolgograd gezeigt haben. Sie sind der Beweis, falls ein solcher überhaupt notwendig ist, dass der Kaukasus, in dem sich auch die Stadt Sotschi befindet, im Gegensatz zur offiziellen Aussage keineswegs eine "befriedete" Region ist.

Die EU hält sich zurück

Präsident Putin scheint vor nichts mehr Angst zu haben. Die Wette gilt, dass es ihm gelingen wird, die terroristische Bedrohung zur Rechtfertigung seiner Unterdrückungspolitik zu seinem Vorteil umzumünzen. Darauf versteht er sich bestens, wie es vor kurzem die Freilassung von Michail Chodorkowski, der Pussy Riots und Greenpeace-Aktivisten aufs Neue belegt hat, die keineswegs als Beherzigung der von der internationalen Gemeinschaft geäußerten Kritik zu werten ist. Auch nicht als Lockerung seiner Politik. Sowohl die Mitglieder der Pussy Riots als auch Chodorkowski wurden nach Jahren, die sie im Gefängnis verbracht hatten, nur wenige Monate vor dem eigentlichen Haftende freigelassen. Putin hat ihnen eine Gunst erwiesen. Und der Welt das Ausmaß seiner Macht vor Augen gehalten.

Wie in China bei den Olympischen Spielen in Peking besteht das Ziel der aufwändigen Spiele in Sotschi vor allem darin, die Position eines uneingeschränkten Herrschers in der internationalen Gemeinschaft zu stärken.

Putin wird die Olympischen Spiele voraussichtlich ohne seine europäischen Amtskollegen eröffnen. Das ist keine Überraschung. Sarkozy ist beispielsweise 2010 auch nicht nach Vancouver gereist. Denn es gibt keine aus der Tradition erwachsene Verpflichtung für Staats- und Regierungschefs, bei der Eröffnung der Olympischen Winterspiele präsent zu sein. Im Falle von Sotschi scheint jedoch das Fernbleiben etlicher europäischer Staatsoberhäupter eine politische Dimension zu haben. Eines ist jedoch sicher: Sie wurde nie klar zum Ausdruck gebracht. Lediglich sehr zurückhaltend und in Andeutungen. So wie die EU-Position gegenüber Russland! Hoffen wir im Namen der tausenden Opfer in Syrien und einer mundtot gemachten Zivilgesellschaft in Russland, dass die EU eines Tages diesem Zögern ein Ende bereiten wird. Es ist an der Zeit.

Karim Lahidji ist Präsident der "Internationalen Liga für Menschenrechte" ("Fédération internationale des ligues des droits de l’Homme" FIDH), einem Dachverband von 178 Menschenrechtsorganisationen mit Sitz in Paris.