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Der Papst in auswegloser Mission

6. Juni 2015

Er kam, blieb kurz und musste auf jedes Wort, jede Geste achten. Der Papst in Sarajewo ist mehr als ein katholisches Kirchenereignis. Es ist große politische Diplomatie - leider ohne Folgen, meint Volker Wagener.

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Bosnien und Herzegowina: Ankunft Papst Franziskus in Sarajevo (Foto: Reuters)
Bild: Reuters/Str

Es gibt angenehmere Reisen für Papst Franziskus, als nach Sarajevo zu fahren. Doch es tut not. Denn das Optimistischste, was man über Bosnien sagen kann ist: Es wird nicht mehr geschossen. Kommt der Papst beispielsweise in seine Heimat Südamerika, wo weiß Gott nicht alles zum Besten steht, wo vielerorts Armut zuhause ist und Gewalt zum Alltag gehört, dann ist ihm eine Welle der Begeisterung gewiss. Hier ist der Katholizismus zuhause, hier hat das Wort des Kirchenoberhauptes noch Gewicht.

Reist er in europäische Wohlstandsstaaten, dann erwärmt uns das ebenfalls. Nicht so laut und emotional wie in Lateinamerika. Die Wirkung ist eher gemessen. Wir empfinden ein klammheimliches Schuldgefühl. Wir werden uns bewusst, wie wenig christliche Werte, wie wenig Kirche noch Platz haben in unserem flotten Leben. Kommt der Papst, beruhigt uns das ein wenig. Wir erinnern uns unserer christlichen Tradition und geloben still, uns zu bessern - ein wenig jedenfalls. In beiden Fällen hinterlässt der Papst Spuren, wenn auch kleine.

In Sarajevo aber müßte der Glaube schon übernatürlich sein, um irgendeinen Impuls für den innerlich zerfressenen Kunststaat zu erwarten. Die bosnischen Protagonisten zeigen sich auch 20 Jahre nach Kriegsende immer noch unbelehrbar. Der Papst stellte sich dem dennoch und sorgt allein dadurch dafür, dass wir wieder auf dieses vergiftete Fleckchen Europa schauen.

Der erkaltete Krieg

Offiziell will Bosnien-Herzegowina in die Europäische Union, ein Abkommen über eine Freihandelszone mit der EU ist frisch unterschrieben. Doch die tiefere Logik des erkalteten Konflikts der Serben, Muslime und Kroaten, dem Jugoslawien im Kleinen, besteht gerade im Hintertreiben dieses politisch-ökonomischen Ziels.

Ein langsames Hineinwachsen des Kunstgebildes aus Republika Srpska und Bosnisch-Kroatischer Föderation in die EU-Strukturen würde auf allen Seiten den Nationalisten das Wasser abgraben. Ihre Macht ginge verloren, ihr korruptes System der Günstlingspolitik wäre am Ende. Keiner der Handelnden ist daran interessiert. Den Macht-Cliquen auf allen Seiten geht es gut. 50 Prozent Arbeitslosigkeit, wen interessiert das, wenn man gleichzeitig Herr in seinem Bonsai-Staat ist, in dem Justiz und Bürokratie tun, was man von ihnen erwartet.

Volker Wagener (Foto: DW)
DW-Redakteur Volker Wagener

Wenn in Brüssel immer wieder verbal zum Kampf gegen die Korruption in Bosnien gerufen wird, dann ist das das Letzte, was in Banja Luka und Sarajevo gehört wird. Leider ist auch die Bevölkerung nicht klüger als ihre politischen Führer. Das Schaf Volk wählt seit zwei Jahrzehnten brav seine Schlächter, die nationalistischen Parteien wieder und wieder. Franziskus' Friedensappelle wirken vor diesem Szenario buchstäblich wie fromme Wünsche.

Religion als Politik mit anderen Mitteln

Allein schon der extrem sorgfältig choreografierte Ein-Tages-Besuch des Papstes belegt, wie kontaminiert das Beziehungsgefüge der alten Kriegskontrahenten ist. Den Stuhl, auf dem Franziskus beim Gottesdienst im Olympiastadion saß, ließ der Vatikan bei einem muslimischen Schreiner in Auftrag geben, den Altar fertigten kroatische Handwerker. Wie viel Diplomatie vorausgegangen sein muss, um den gemischtreligiösen Kinderchor singen zu lassen, lässt sich nur erahnen.

Bosnien ist ein Trauerspiel. Da macht allein schon ein Blick auf die kroatisch-katholische Seite depressiv. Sarajevo ist seit Jahrhunderten eine Blüte des Franziskaner-Ordens. Die Bruderschaft des Papstes hat hier im wahrsten Sinne des Wortes segensreich gewirkt und zwar für alle. Immer schon galten die Franziskaner Bosniens als ausgleichend zwischen den Religionen gerade auch zu Zeiten, als die Juden in Sarajewo noch tragende Säule des urban-geistigen Lebens waren. Seit den südslawischen Erbfolgekriegen der 1990er Jahre aber stehen die Franziskaner Bosniens unter Druck der eigenen Glaubensbrüder - der Franziskaner der West-Herzegowina. Sie stehen eng an der Seite der kroatischen Nationalisten, in Kroatien ebenso wie in Bosnien. Allein dieser Konflikt ist ebenso verfahren wie deprimierend. Übrigens verlassen proportional gesehen ebenso viele Katholiken Bosnien wie Syrien, Irak oder Nigeria. Vor dem Hintergrund dieser ausweglosen Situation wenigstens etwas zu tun, ist besser, als nichts, mag sich Franziskus gedacht haben. Bosnien jedenfalls braucht den ganz langen Atem der EU und den höheren Beistand sowieso.

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Volker Wagener Redakteur und Autor der DW Programs for Europe