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Europas neue Mannschaft

Bernd Riegert9. Oktober 2014

Der neue EU-Kommissionspräsident Juncker muss nur eine Ressortchefin austauschen. Damit ist er nach den Anhörungen im Europaparlament glimpflich davon gekommen, meint Bernd Riegert.

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Jean-Claude Juncker stellet die neue Kommission vor 10.09.2014
Feuerprobe fast bestanden: Kommissionschef JunckerBild: Reuters/Yves Herman

Es ist ein langwieriger Prozess, der für die Beteiligten anstrengend und für das Publikum manchmal nur noch schwer durchschaubar ist: In Brüssel wird die neue EU-Kommission, die politische Führungsmannschaft unter Präsident Jean-Claude Juncker, zusammengebaut. Nach über 80 Stunden Anhörungen mit 1300 Fragen an die 26 Kandidaten im Europäischen Parlament schält sich jetzt heraus, dass fast alle nominierten EU-Kommissare es geschafft haben. In keinem EU-Mitgliedsland wird eine Regierung so tief und langwierig auf Herz und Nieren geprüft. Meist werden die Minister ohne Beteiligung des Parlaments ernannt. In Europa ist das anders. Das ist gelebte Demokratie, auch wenn die Entscheidungsprozesse komplex sind und am Ende wieder in den berühmten Hinterzimmern zwischen den Fraktionen und Parteien gekungelt wird.

Das Bauernopfer dieser Prozedur heißt Alenka Bratusek aus Slowenien. Die ehemalige, als liberal geltende Premierministerin wird von den Parlamentariern abgelehnt, weil sie nicht kompetent genug für das Ressort "Energieunion" sei. Sie hat aber vor allem keine Rückendeckung durch eine der großen Parteifamilien, also Konservative und Sozialisten. Die beiden großen Blöcke haben eine informelle große Koalition gebildet. Deshalb ist auch keiner der wichtigen konservativen oder sozialistischen Kandidaten durchgefallen, obwohl auch diese nach ihren Anhörungen heftig umstritten waren. Der französische Sozialist Pierre Moscovici kann das Amt als Wirtschafts-Kommissar genauso antreten wie der Brite Jonathan Hill, der die Regulierung der Finanzmärkte als EU-Kommissar regeln soll. Um seine Macht zu demonstrieren, zwingt das Parlament den künftigen EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker aber, die Zuschnitte der Ressorts leicht abzuwandeln. Aus Slowenien wird Juncker eine Ersatz-Kandidatin anfordern müssen. Eine persönliche Demütigung, die er ertragen muss, obwohl er sich für Alenka Bratusek sehr eingesetzt hatte.

Deutsche Welle Bernd Riegert
Europa-Korrespondent Bernd Riegert

Ein besonderer Fall ist der ungarische Kommissar Navracsics: Ihm schlug Ablehnung entgegen, weil er als enger Vertrauter des beim Parlament unbeliebten ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban gilt. Dem wirft man in Brüssel vor, einen zu Europa-skeptischen Kurs zu fahren und zuhause seine absolute Mehrheit zur Ausdehnung seiner Machtfülle zu missbrauchen. Mit dem relativ kleinen Ungarn riskiert man den Konflikt, aber die Konservativen, zu denen Navracsics' Fidesz-Partei gehört, haben verhindert, dass er ganz aus der Kommission herausfliegt. Er soll bleiben, muss aber ein anderes Ressort als ausgerechnet Kultur- und Bürgerrechte bekommen.

Während der Anhörungen wurden die Lücken bei einigen Kommissaren schonungslos offengelegt, aber auch die Struktur der neuen EU-Kommission hat offenbar Lücken. Vielen Abgeordneten wurde nicht klar, wie das gedachte Zusammenspiel von vorgesetzten Vize-Präsidenten und normalen EU-Kommissaren funktionieren soll. Die Zuständigkeiten überlappen sich. Die Kompetenzen sind nicht klar abgegrenzt. Da wird Jean-Claude Juncker in den kommenden Monaten noch beweisen müssen, dass sein Experiment wirklich Fortschritt bedeutet. Juncker hat viele Böcke zu Gärtnern gemacht: Der ausgabenfreudige Franzose soll das Sparen durchsetzen, der Banken-nahe Brite soll die Finanzmärkte regulieren, der Grieche soll für Flüchtlinge zuständig sein, obwohl gerade in Griechenland die Asylverfahren menschenunwürdig sind. Der Spanier mit Verbindungen zur Ölindustrie soll für Klimaschutz sorgen. Die Außenpolitik steuert eine unerfahrene Italienerin. Das wird für viel Spannung mit den EU-Mitgliedsstaaten und dem Europäischen Parlament sorgen. Juncker hofft wohl darauf, dass sich die Kommissare gegenseitig in Schach halten und am Ende sinnvolle europäische Regelungen dabei herauskommen.

Der Start für die neue EU-Kommission war etwas holprig, aber immerhin ein demokratisches Lehrstück.