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Hoffnung für Europas Hinterhof?

Benjamin Pargan29. August 2014

Bundeskanzlerin Angela Merkel macht den Westbalkan-Ländern Hoffnung auf einen baldigen EU-Beitritt. Im Interesse Deutschlands sollte es trotz aller Probleme kein Scheinangebot bleiben, meint DW-Redakteur Benjamin Pargan.

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Edi Rama und Angela Merkel bei der Westbalkan-Konferenz (Foto: Reuters)
Bundeskanzlerin Angela Merkel (r.) begrüßt den albanischen Ministerpräsident Edi Rama in BerlinBild: Reuters

Die Länder des Westlichen Balkans müssen eine klare und zeitlich abgesteckte europäische Perspektive haben. Diese darf nicht zu einer Scheinperspektive verkommen, die halbherzig und als symbolische Geste in regelmäßigen Abständen aufgetischt wird. Trotz der allgegenwertigen Erweiterungsmüdigkeit der deutschen Bevölkerung, muss die Bundesregierung eine echte Beitrittsperspektive für diese Länder aktiv unterstützen. Das ist kein Gnadenakt für arme Länder im Südosten des Kontinents. Nein, diese EU-Annäherung ist das ureigene Interesse Deutschlands. Politisch, strategisch, sicherheitspolitisch und wirtschaftlich.

Diese Meinung vertraten bei der Westbalkankonferenz auch die Emissäre der deutschen Wirtschaft. Natürlich denken sie dabei an die eigenen Vorteile und haben vor allem Interesse an neuen Absatzmärkten und Produktionsstandorten mit billigen und gut ausgebildeten Arbeitskräften. Solche Statements haben auch starke politische Signalwirkung, weil die Wirtschaftsbosse sich nicht davor scheuen, die vielen Probleme direkt anzusprechen: die fehlende Rechtsstaatlichkeit, die nur widerwillige Bekämpfung der Korruption, die insgesamt löchrige Investitionssicherheit und die schlechte Infrastruktur in den Ländern des Westbalkans. Die Wirtschaftsvertreter sind viel lauter bei der Forderung nach notwendigen Reformen und kümmern sich wenig um diplomatische Gepflogenheiten. Auch deshalb ist es richtig, dass die Wirtschaftsfragen Schwerpunkt der Konferenz waren. Die horrend hohe Arbeitslosigkeit, erhebliche soziale Probleme und Armut sind die größte Gefahr für die politische Stabilität vieler Staaten des Westlichen Balkans.

Benjamin Pargan (Foto: DW)
Benjamin Pargan ist Leiter der DW-Programmgruppe SüdosteuropaBild: DW/P. Henriksen

Ende der Berliner Halbherzigkeit

Gleichzeitig darf die strategische und politische Bedeutung einer baldigen Annäherung dieser Länder an die EU keinesfalls unterschätzt werden. Angesichts der dramatischen Entwicklung in der Ukraine, erscheint die bisherige Berliner Halbherzigkeit bezüglich des möglichen EU-Beitritts dieser Länder noch weniger nachvollziehbar. Diese verzagte Haltung war kontraproduktiv und deshalb ist die nun klar angekündigte Unterstützung der Bundeskanzlerin in der Tat eine neue Hoffnung für die ganze Region.

Einige Staaten des Westlichen Balkans haben sich in den vergangenen Jahren um Investitionen und Unterstützung aus anderen Ecken dieser Welt bemüht. Und sie haben sie auch bekommen. Aus Russland, China, aus der Türkei und den arabischen Ländern. Serbien ist das beste Beispiel dafür, eine ähnliche Entwicklung ist auch in Bosnien-Herzegowina, Mazedonien und Montenegro zu beobachten. Das darf diesen Ländern nicht übel genommen werden. Die Lage auf ihren Arbeitsmärkten ist so desolat, dass jede Investition dankend und ohne Hinterfragen angenommen wird. Zudem stellen die neuen Partner ihrerseits keine unangenehmen Fragen zu Demokratie und Pressefreiheit.

Erweiterungsmüdigkeit in der EU

Umso wichtiger sind die heutigen Zusagen aus Berlin, mehr konkrete Unterstützung zu leisten, bei großen Infrastrukturprojekten zu helfen, und die Länder, die noch nicht in der EU sind, wirtschaftlich und politisch an die EU zu binden. Das wird nicht einfach, denn diese Annäherung kann nur mit voller Unterstützung der jeweiligen Regierungen gelingen. Und ebendies scheint - neben der Erweiterungsmüdigkeit der alten Mitgliedsländer - das größte Problem zu sein. Einige Regierungsmitglieder, die nun bei der Konferenz der Westbalkan-Staaten zu Gast waren, sind alles andere als verlässliche Partner für Berlin und Brüssel. Viele sind nachweislich korrupt. Einige Regierungsvertreter, auch die hochrangigen, erzählen häufig in Berlin das, was die Gesprächspartner hören wollen, um dann zuhause weiter die Politik zu betreiben, die mit der europäischen Integration nichts zu tun hat. So mancher hat sich gar in den vergangenen Jahren von der großen europäischen Hoffnung zum kleinen Diktator entwickelt. Diesen Leuten muss klargemacht werden, dass der billige Populismus und die Gängelung der Medien nicht zielführend sind. Es bleibt zu hoffen, dass die deutschen Gastgeber in direkten Gesprächen auch die unangenehmen Fragen gestellt haben. Zum Beispiel nach der alltäglichen Missachtung der Minderheitenrechte in vielen Staaten des westlichen Balkans. Und hoffentlich haben die Gäste verstanden, dass blinder Nationalismus und Hetze gegen Homosexuelle nicht zu den viel propagierten europäischen Werten gehören.

Die von der deutschen Kanzlerin klar unterstrichene Beitrittsperspektive für die Länder des westlichen Balkans ist und bleibt eine gewagte Ansage. Fraglich ist nicht nur, ob die Beitrittskandidaten ihre Hausaufgaben in absehbarer Zeit machen können und wollen. Auf der anderen Seite des Tisches saßen an diesem Donnerstag in Berlin viele Regierungsvertreter, die sehr wohl um die Sorgen der deutschen Bevölkerung wissen. Ihnen ist klar, dass sie diese Sorgen ernst nehmen müssen und dass die zahlreichen Asylbewerber aus Mazedonien und Serbien sowie die sogenannten Armutseinwanderer aus Bulgarien und Rumänien weitere Ängste und Vorurteile hervorrufen. Die am heutigen Donnerstag viel beschworene europäische Perspektive der Westbalkan-Länder könnte sich für die deutsche Regierung zu einer richtigen Zwickmühle entwickeln.