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Moskaus Alleingang

14. April 2015

Russland will Iran moderne Flug-Abwehrraketen liefern. Wut in Israel und Stirnrunzeln im Westen sind der Führung in Moskau egal. Ihr geht es um eine eigenständige Politik im Nahen Osten, meint Christian F. Trippe.

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Russland Rakete S 300
Bild: picture-alliance/dpa

Die Tinte unter der Atom-Vereinbarung mit dem Iran war gerade angetrocknet, da preschte Russland vor und erklärte das Sanktionsregime gegen Teheran für beendet. Zumindest für Moskau ist es beendet. Denn die anderen fünf Unterzeichner des Atom-Kompromisses - USA, China, Großbritannien, Frankreich und Deutschland - wollen erst einmal abwarten. Sie wollen bis spätestens Ende Juni mit der Regierung in Teheran verbindlich vereinbaren, wie es weitergeht. Wie der Iran vom Bau einer Atombombe abgehalten werden kann und trotzdem eine Nuklear-Industrie aufbauen kann - ausschließlich zur zivilen Nutzung.

Russland folgt allein seinen eigenen Interessen

Diesen Fahrplan, mühsam im schweizerischen Lausanne ausgehandelt, durchkreuzt Russland nun. Persisches Öl soll gegen russische Fertiggüter getauscht werden, milliardenschwere Bartergeschäfte locken. Zu diesem Deal gehört auch, einen vor acht Jahren geschlossenen, dann aber wegen der UN-Sanktionen ausgesetzten Vertrag über die Lieferung von S-300-Raketen wieder zu beleben. Flugabwehr-Raketen sind nicht irgendein Handelsgut. In einer Krisenregion verändern sie das Spiel um politische Macht.

All das weiß Russland nur zu gut - und pflegt ja zu Israel enge Kontakte. Mittlerweile spricht jeder achte Israeli zuhause Russisch, weil er aus den Gebieten der ehemaligen Sowjetunion zugewandert ist. Die Regierung in Tel Aviv ist besorgt, sieht sie sich doch in ihrer Grundsatz-Kritik am Kompromiss von Lausanne bestätigt. Für die israelische Luftwaffe sind die S-300-Boden-Luft-Raketen mehr als ein taktisches Ärgernis. Vielleicht muss Israel bald sogar seine strategische Option aufgeben, als letztes Mittel die iranische Atom-Industrie mit Luftangriffen zu zerstören.

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DW-Korrespondent Christian F. Trippe

Doch noch ist nicht klar, welches Raketensystem Russland dem Iran liefern wird. Die S-300 ist eine Waffe, die in vielerlei Varianten gebaut wird - in soliden, modernen und hochmodernen. Rüstungsexperten in Moskau gehen davon aus, dass es rund zwei Jahre dauern wird, bis ein neuer Liefervertrag aufgesetzt und unterschrieben ist. Durch den Raketendeal versucht Russland sich in die Pole-Position im Wettrennen um den iranischen Markt zu sichern. Demnächst, wenn die Sanktionen gegen Iran offiziell fallen, will Russland ganz vorne mit dabei sein.

Moskau will überall Einfluss wahren

All das passt zu Russlands Aufritt im Nahen Osten: Der enge Kontakt zu Israel hält Moskaus Diplomaten nicht davon ab, mit Palästinensern und Ägyptern und anderen Sunniten zusammen zu arbeiten; schließlich das demonstrative Festhalten an dem Alawiten Assad in Syrien; nun die Vereinbarung mit den schiitischen Mullahs in Teheran. Russland legt sich nicht fest, sondern will im ganzen Nahen Osten Einfluss wahren, über den Tag hinaus. Denn irgendwann sind die Bürgerkriege in der Region beigelegt, die Kämpfe zwischen den islamischen Konfessionen vorüber; und eines nicht zu fernen Tages ist der Kampf um die Vorherrschaft in der Region entschieden. In diesem ganz großen Spiel hat Russland mit seiner Raketen-Entscheidung jetzt einen sperrigen Spielstein gesetzt.

Und noch eine Botschaft sendet Russland mit seiner ungestümen Raketen-Diplomatie: Sanktionen sind doof - sie gehören so schnell wie möglich aufgehoben. Standpunkt eines Landes, das selber mit Sanktionen durch EU und USA belegt ist - und weitere fürchtet.

Christian Trippe Leiter Hauptabteilung Osteuropa
Christian F. Trippe Leiter der DW-Abteilung Osteuropa