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Mit dem Galgen gegen die Gewalt?

Naomi Conrad22. Dezember 2014

Nach dem Massaker von Peschawar hat Pakistan begonnen, verurteilte Extremisten zu töten - 500 weitere Hinrichtungen sollen noch folgen. Ein brutaler Akt der Gewalt in einem korrupten Rechtssystem, meint Naomi Conrad.

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Hinrichtung in Faisalabad, Pakistan 21.12.2014
Bild: picture-alliance/dpa/I. Sheikh

Wie er genau Fälle registriere? Nun ja, sagt der Polizist - ein freundlicher Mann mit einem dichten weißen Bart - und lehnte sich näher an mein Mikrophon: Das sei ganz einfach. "Zunächst einmal warte ich ein paar Stunden." Worauf? Er schüttelt den Kopf über so viel Unwissenheit: "Darauf, dass mir jemand genug Geld anbietet, damit ich den Gefangenen laufen lasse." Nur, wenn ihn niemand besteche, nur dann, erklärt er geduldig und klopft über das dicke, etwas ausgeblichene Buch, das vor ihm liegt, schreibe er den Namen und das Verbrechen auf.

Das Gespräch findet in einer Polizeistation in Islamabad statt - aber es hätte genauso gut in Karachi, Lahore oder auch den Stammesgebieten sein können. Denn Pakistans Justizsystem, so erzählt es auch ein ehemaliger Richter des High Court, ist völlig korrupt. In seinem kleinen Büro, durch dessen Wände die Stimmen seiner Kollegen dringen, zuckt er die Schultern: "Das weiß doch jeder, dass hier Falschaussagen völlig normal sind." Zeugen würden gekauft, Richter bestochen, Anwälte bedroht: alles an der Tagesordnung in Pakistan.

Faire Prozesse sehen anders, ganz anders aus

Umso bedenklicher also, dass Pakistans Regierung das seit 2008 de facto geltende Moratorium für die Todesstrafe aufgehoben hat. Das ist die Antwort auf das Massaker in einer Schule in Peschawar, bei dem fast 150 Menschen, die meisten von ihnen Kinder, ermordet wurden. Als die Fernsehsender Bilder von Blutlachen, Kindersärgen und weinenden Eltern in Dauerschleife sendeten, stellte sich Ministerpräsident Nawaz Sharif vor die Kameras, um den Taliban den Krieg zu erklären, ein Krieg, der andauern werde, "bis der letzte Terrorist eliminiert ist."

Kommentarfoto Naomi Conrad Hauptstadtstudio
Naomi Conrad ist Korrespondentin im HauptstadtstudioBild: DW/S. Eichberg

Die Regierung will also Stärke demonstrieren und hat begonnen, wegen Terrorismus verurteilte Menschen hinzurichten. In den kommenden Wochen sollen rund 500 weitere folgen: Nach pakistanischen Angaben sitzen rund 8000 Menschen im Todestrakt in Pakistans Gefängnissen, fast ein Drittel von ihnen wegen Terrorvorwürfen. Wie viele von ihnen haben einen fairen Prozess gehabt, eine unbestechliche Verteidigung und Anklage? Wie viele von ihnen wurden gefoltert, erpresst, bedroht?

Egal: Sharifs Versprechen folgend müssen alle "eliminiert" werden

Aber kann das wirklich die Antwort auf die Taliban sein? Nein, natürlich nicht! Solch rohe Staatsgewalt ist keineswegs ein Zeichen der Stärke, sondern der Hilflosigkeit. Zu lange hat Pakistans Regierung überhaupt erst den Nährboden für Extremismus geschaffen: Korruption, Armut, ein miserables staatliches Schulsystem, die käufliche Justiz und Perspektivlosigkeit in vielen Teilen des Landes sind Merkmale des totalen Staatsversagens und haben in der Vergangenheit dazu beigetragen, junge Menschen in die Arme der Taliban zu treiben.

Zu lange hat die Regierung weggeschaut, wenn bekannte Hassprediger an ihren kostenlosen Koranschulen Extremismus lehrten, zu lange die "guten" Taliban - die also gegen Indien und Afghanistan kämpfen - unterstützt, zumindest aber gewähren lassen.

Aber solch ein Staatsversagen kann nicht mit dem Galgen kuriert werden: Das schafft nur weitere Märtyrer für die Extremisten und dreht die Gewaltspirale weiter. Nein, wahre Stärke wäre es, das Land zu entwickeln: Schulen zu bauen, Arbeitsplätze zu schaffen und Korruption wirksam zu bekämpfen. Kurz: Der Armut den Krieg zu erklären, anstatt die Extremisten zu "eliminieren". Denn letztlich können die Taliban nur so besiegt werden, wenn auch nicht völlig eliminiert.