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Kompromisse bis zur Konturlosigkeit

Volker Wagener27. November 2013

Der Koalitionsvertag steht. Nach wochenlangen Verhandlungen haben sich CDU/CSU und SPD auf ein Papier geeinigt, dass vor lauter Kompromissen die Konturen vermissen läßt, findet Volker Wagener.

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Es hatte mitunter etwas quälendes, was da in den vergangenen Wochen an Details aus den Verhandlungsräumen nach draußen lanciert wurde. Ein Mindestlohn sollte festgeschrieben werden, forderte die SPD, die CSU bestand darauf, eine Autobahn-Maut für Ausländer einzuführen und die Steuerlast sollte bleiben wie sie ist, jedenfalls nicht höher werden, lautete die Kernbotschaft der Kanzlerin.

Nun beugt sich die SPD-Basis über den Vertrag

Nun, der Mindestlohn kommt, aber etwas später, die PKW-Maut ebenfalls, wann und in welcher Form und Höhe bleibt Nachverhandlungen überlassen und die Steuern werden nicht erhöht - vorerst. Ach ja, über die doppelte Staatsangehörigkeit wurde auch entschieden - ein bisschen wenigstens.

In Deutschland geborene Kinder ausländischer Eltern müssen sich künftig nicht mehr bis spätestens zum 23. Geburtstag entscheiden, mit welchem Pass sie sich ausweisen wollen. Was genau sich ändern soll, es bleibt unklar! So schmecken Kompromiss-Mixturen: irgendwie fade, jedenfalls verwässert.

Volker Wagener. Deutschland/Chefredaktion REGIONEN (Foto: DW/Per Henriksen)
Volker Wagener, Deutschland-Redaktion der DWBild: DW

Diese Geschmacksneutralität präsentiert nun die SPD ihrer Basis. Es ist ein Novum in der parlamentarischen Geschichte der Bundesrepublik. 473.000 Sozialdemokraten dürfen in den kommenden zwei Wochen per Briefwahl den Daumen über den Koalitionsvertrag heben oder senken. Gültig ist die Abstimmung, wenn 20 Prozent der Mitglieder mitmachen. Ob Deutschland eine schwarz-rote Regierung bekommt, hängt also vom Urteil von rund 100.000 Genossen ab.

Es droht die späte Rache der Schröder-Kritiker

Und das ist der spannendste Abschnitt der Koalitionsfindung. Die SPD erlebte unter Kanzler Gerhard Schröder einen Modernisierungsschub. So jedenfalls urteilen die Befürworter seiner Reformpolitik, die einem Teil der Bevölkerung harte Kürzungen zumutete. Und es traf vor allem die sozial Schwächeren, die die Folgen der sogenannten Agenda-2010-Politik auszubaden hatten. Überwiegend Menschen, die SPD wählen oder ihr nahe stehen. Ein "soziales Schlachtfest" nennen das die Schröder-Kritiker noch heute. Immer noch lecken sich die Genossen die Wunden, die ihnen ihr eigener Mann zugefügt hatte. Ein Teil der Basis ist auf Wiedergutmachung aus. Sie könnten der SPD-Spitze den mühsam ausgehandelten Vertrag kurz vor der Unterschrift entreißen. Die Stimmung an der Basis ist rebellisch. Es grenzt schon an Magie, würde es Parteichef Siegmar Gabriel gelingen, dem Bauch der SPD diesen Koalitionsvertrag als verdaulich zu servieren.

Option Neuwahl schon im Gespräch

Die fragile inhaltliche Architektur des Koalitionspapiers wäre bei einem Nein der SPD-Mitglieder zum Einsturz verdammt. 100.000 Inhaber eines SPD-Parteibuches hätten somit, salopp gesagt, die Republik gerockt. Eine andere Koalition oder sogar Neuwahlen wären die Konsequenzen. Soviel politische Spannung war selten in Deutschland, dem Land der wohlgeordneten Abläufe des öffentlichen Lebens. Und die Optionen sind allesamt spannend. Wenig beachtet ist, dass die Bundestagswahl eine Mehrheit links von Merkels CDU/CSU hervorgebracht hat. SPD, Grüne und Linke könnten gemeinsam regieren, wenn sie denn wollten. Verabredet ist, dass das in vier Jahren gehen soll. Warum also nicht sofort? Denkbar ist auch eine schwarz-grüne Koalition. Auch die steht auf der Projektliste von CDU/CSU und Bündnis 90/Die Grünen. In Hessen startet gerade ein solches Bündnis erstmals auf Landesebene.

Und wenn gar nichts mehr geht, dann eben Neuwahlen. Und die hätten es in sich. Angela Merkel hätte wohl nichts dagegen. Die Wut der Wähler über eine sich verweigernde SPD würde die Sozialdemokratie wohl unter die 20-Prozentmarke drücken - es wäre ein Desaster für die Willy-Brandt-Partei in ihrem 150. Jahr. Und Angela Merkel könnte endgültig zur Königin von Deutschland werden. Es sei denn, ihr bisheriger Partner FDP käme über die zweite Chance unverdient über den Mitleidsbonus wieder rein in den Bundestag.

Und sonst?

Ein weniger aufgeregtes Bild ergibt sich, betrachtet man Deutschland an diesem Tag von außen. Keiner der Punkte, um die wochenlang gerungen wurde, interessiert wirklich im Ausland. Gemessen an den sogenannten weltbewegenden Themen, bleibt Deutschland, was es in den vergangenen Jahren auch war: außenpolitisch berechenbar und finanzpolitisch solide. Was das heißt, wissen die Krisen- und Schuldenstaaten schon. Ansonsten wird es reizvoll sein zu beobachten, wie Deutschland die selbstverordnete Energiewende nach Fukushima organisiert. Darüber, eines der wichtigsten Themen der nächsten Jahre, steht nämlich herzlich wenig und das auch noch unkonkret im Koalitionsvertrag auf Bewährung.