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Haushaltskrach abgewendet

Barbara Wesel29. Oktober 2014

Frankreich und Italien haben nachgegeben, jedenfalls der Form nach: Sie senken ihre Defizite. Nach wie vor aber fehlen grundlegende Reformen, meint Barbara Wesel.

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Frankreichs Präsident François Hollande und Italiens Regierungschef Matteo Renzi - Foto: Philippe Wojazer
Bild: Reuters

Die französischen Zeitungen sagen der Regierung in Paris deutlich, was sie von dem korrigierten Haushaltsplan 2015 halten: "Für Präsident François Hollande ist es am wichtigsten, Brüssel zu beruhigen, mit welchen Mitteln auch immer. Die EU-Kommission (…) begnügt sich also mit falschen Versprechungen", schreibt das konservative Blatt "Le Figaro". Im gleichen Ton reagiert die linksliberale "Le Monde": "Paris kauft sich einen Aufschub von Brüssel ohne die kleinsten zusätzlichen Einsparungen".

Tatsächlich ist es reine Kulissenschieberei, wenn das französische Finanzministerium nach dem ersten Warnbrief aus der EU-Hauptstadt plötzlich 3,6 Milliarden Euro findet, die aus zusätzlichen Steuereinnahmen und mutmaßlichen Minderausgaben durch niedrige Kreditzinsen stammen. So rechnet sich Paris das Leben schön, verringert kurzerhand seine Neuverschuldung auf dem Papier um 0,5 Prozentpunkte und ermöglicht es damit der europäischen Kommission, sich einmal mehr geduldig zu zeigen.

Barbara Wesel - Foto: Bernd Riegert (DW)
DW-Reporterin Barbara WeselBild: DW/B. Riegert

Ganz ähnlich verlief die Sache gegenüber Italien. Nachdem Regierungschef Matteo Renzi in der vergangenen Woche beim EU-Gipfeltreffen noch groß getönt hatte, man lasse sich doch von der Kommission nicht schulmeistern, nahm er jetzt 3,3 Milliarden aus seiner Reserve, die er eigentlich für Steuersenkungen vorgesehen hatte und reduzierte ein bisschen seine Neuverschuldung. Das eigentliche Problem, den riesigen Berg der bestehenden Schulden, schiebt er einfach weiter.

Aber auch das reichte Brüssel vorerst aus, um den Italienern eine offizielle Abmahnung und die Ablehnung ihres Budgetplans zu ersparen. In beiden Fällen haben sich politische Rücksichten gegenüber den wirtschaftlichen Notwendigkeiten durchgesetzt. Zum einen will die scheidende Kommission nicht Türen-schlagend das Haus verlassen, also keinen Riesenkrach mit Paris und Rom in letzter Minute. Darüber hinaus will hier niemand Regierungschef Renzi beschädigen, der als einzige Hoffnung für Reformen in Rom gilt. Und ebenso wenig will man offenen Krieg mit den Franzosen, denn die Finanzmärkte könnten sich beunruhigen, die populistische Rechte von Marine Le Pen Auftrieb bekommen und was der Argumente mehr sind.

Glaubwürdigkeit der Kommission steht auf dem Spiel

Ein Treppenwitz der Geschichte will es nun, dass ausgerechnet der frühere französische Finanzminister Pierre Moscovici von der nächsten Woche an auf dem Stuhl des EU-Währungskommissars sitzen wird, der für die Haushaltskontrolle der Euro-Mitgliedsländer zuständig ist - auch wenn er zwei Kollegen als Aufpasser an der Seite haben wird. In Karikaturen erscheint der früher so ausgabefreudige Ex-Minister bereits auf seinem neuen Stuhl in Brüssel als Mann, der sich plötzlich nicht mehr an seinen eigenen Namen erinnern kann. Wer war doch der Kerl, der früher so mit dem Geld um sich warf?

Mehr noch als andere, wird er in den nächsten Wochen eine totale Kehrtwende vollziehen müssen. Er hat jetzt die Aufgabe bis Ende November den Regierungen in Paris und Rom klar zu machen, dass die Stabilität der Gemeinschaftswährung nicht mit ein paar kosmetischen Korrekturen zu wahren ist. Und Länder wie Spanien und Portugal werden zunehmend wütend, wenn sie sehen wie die Großen von Haken gelassen werden, während sie selbst zu tiefen Einschnitten und schmerzhaften Reformen gezwungen waren. Besonders in Frankreich aber ist vielen klar, dass die schwache Regierung Hollande noch nicht einmal angefangen hat, die Ursachen der eigenen Krise zu bekämpfen. In Italien dagegen hört man zunächst noch triumphale Töne, man habe "einen Sieg über Brüssel" davon getragen.

Für die Europäische Kommission aber steht in den nächsten Wochen die Glaubwürdigkeit ihrer neu gewonnenen Macht auf dem Spiel, nämlich die Haushalte der Euro-Länder zu überprüfen. Diese Zuständigkeit ist eine Folge der Krise, die die Gemeinschaftswährung an Rand des Abgrunds brachte. Mehr als andere Aufgaben muss die Kommission diese wirklich ernst nehmen und klare Linie zeigen. Die Bürger in Europa brauchen keine Verordnungen über die Stärke ihrer Staubsauger, aber sie brauchen einen Wächter über die Solidität ihrer Währung. Und weil nationale Regierungen wieder gewählt werden wollen, greifen sie gern zu kreativer Buchhaltung.

In Brüssel aber sollten die objektiven Wächter sitzen, die den Hauptstädten auf die Finger schlagen, wenn sie die Regeln verletzen. Wohlgemerkt geht es dabei nicht um "Sparpolitik über alles", sondern um den Zwang auch mit unpopulären Maßnahmen die Gründe der jeweiligen Wirtschaftsschwäche zu bekämpfen. Da wurde in den vergangenen Jahren viel versprochen und bis jetzt noch fast nichts gehalten. Der Druck aus Brüssel sollte an dem Punkt nicht nachlassen, und der Ruf nach mehr Investitionen immer wieder mit der Forderung nach gleichzeitigen Strukturreformen gekoppelt sein.