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Kommentar: Fall Gurlitt bleibt unklar!

Stefan Dege24. November 2014

Das Berner Kunstmuseum nimmt den Kunstschatz von Cornelius Gurlitt an. Doch bringt das Votum mehr Klarheit in den Fall des millionenschweren Erbes? Im Gegenteil, meint DW-Redakteur Stefan Dege.

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PK Berlin - Nachlass Cornelius Gurlitt 24.11.2014 / Christoph Schäublin
Bild: Ronny Hartmann/AFP/Getty Images

Viel Zeit gelassen hat sich das Kunstmuseum Bern mit seiner Entscheidung, das Gurlitt-Erbe anzutreten. Der sagenhafte Kunstschatz des Kunstsammlers Cornelius Gurlitt ginge also in die Schweiz. Die Kunstwelt, die deutsche Politik und andere Interessierte könnten aufatmen. Die monatelange Ungewissheit fände ein Ende – wenn, ja wenn am Ende nicht alles ganz anders kommt.

Die millionenschwere Sammlung Gurlitt, die in seiner Schwabinger Wohnung und später auch in seinem Haus in Salzburg gefunden wurde, umfasst hunderte Werke. Bei vielen ist nicht auszuschließen, dass es sich um Nazi-Raubkunst handelt. Gurlitts Vater Hildebrand war einer der Kunsthändler Adolf Hitlers. So erklärt sich, warum das Schicksal der Gurlitt-Hinterlassenschaft auch und vor allem ein Politikum ist.

Auch die Schweizer profitieren

Deutschland möchte nicht länger das Bild einer Nation abgeben, die Jahrzehnte nach dem Holocaust immer noch mit der Beute dasteht. So war Berlin erleichtert, als Gurlitt seinen Besitz in die Schweiz vermachte. Die aus 1.500 Gemälden und Zeichnungen, darunter Raubkunst aus dem Besitz jüdischer Sammler, bestehende Sammlung ginge an ein seriöses Institut in einem neutralen Land. Die der "Entarteten Kunst" zugehörigen Werke kämen als Dauerleihgabe an deutsche Museen. Die deutsche Taskforce "Schwabinger Kunstfund" unter Leitung der Juristin Ingeborg Berggreen-Merkel könnte weiter nach der Herkunft der Werke forschen.

Berlin Unterzeichnung Nachlass Cornelius Gurlitt Kunstmuseum Bern 24.11.2014
Christoph Schäublin, Präsident des Stiftungsrates, des Berner Kunstmuseums, Kulturstaatsministerin Monika Grütters und der bayerische Justizminister Winfried Bausback bei der Unterzeichnung der Vereinbarung zum Umgang mit dem Gurlitt-Nachlass.Bild: Reuters/Hannibal Hanschke

Alle Seiten profitieren

Nach diesem Deal sieht es nun wohl aus, zumindest auf den ersten Blick. Er nützt auch der Schweizer Seite. Sie spart sich das heikle Thema "Entartete Kunst". Sie muss keinen Franken für die teure Provinienzforschung ausgeben. Und auch für die knapp 500 Werke, die unter Raubkunstverdacht stehen, wäre gesorgt: Sie sollen zum größten Teil erst einmal in Deutschland bleiben. Als Raubkunst identifizierte Bilder werden an die Eigentümer restituiert. Deutschland übernimmt die Kosten, auch etwaige Prozesskosten.

Erbfrage bleibt zu klären

Soweit so gut? Das Lachen könnte den Beteiligten noch im Halse stecken bleiben. Denn unklar ist, ob Cornelius Gurlitt überhaupt testierfähig war. Ein medizinisch-juristisches Gutachten im Auftrag einer übergangenen Erbin weckt erhebliche Zweifel. Der alte Mann, heißt es darin, fühlte sich zeitlebens von Nazis verfolgt und wählte nur deshalb ein neutrales Land als Bestimmungsort für sein Vermächtnis. Er habe nicht frei gehandelt.

Stefan Dege. Foto: Per Henriksen/DW
DW-Kulturredakteur Stefan Dege

So schwebt über dem Votum aus Bern und den Zusagen aus Berlin die ungeklärte Frage, ob die Schweizer überhaupt erbberechtigt sind. Der Jüdische Weltkongress droht mit einer Prozesslawine. Damit ist auch der politische Sprengstoff nicht entschärft. Der Fall Gurlitt wird immer verworrener, sein Ende nicht absehbar.