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Erdogan verspielt Vertrauen

21. März 2015

Der Zick-Zack-Kurs des türkischen Staatschefs in der Kurdenpolitik verärgert seine eigene Partei, riskiert den brüchigen inneren Frieden und entbehrt jeglicher Vernunft und Weitsicht, findet Baha Güngör.

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Türkei Präsident Recep Tayyip Erdogan (Foto: Reuters)
Bild: Reuters/Umit Bektas

Der seit 16 Jahren inhaftierte Führer der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), Abdullah Öcalan, ist klarer Punktsieger des Neujahrsfestes "Newroz", das für Kurden den Kampf gegen Unterdrückung symbolisiert. Mit seiner "Friedensbotschaft" kündigt Öcalan das endgültige Ende des vor 30 Jahren begonnenen Krieges für einen unabhängigen kurdischen Staat auf türkischem Territorium an. Nach rund 40.000 Toten, hunderttausenden Verletzten und Vertriebenen sei er der Auffassung, der Kampf seiner 1978 gegründeten PKK sei "nicht vergebens" gewesen, habe aber ein "nicht mehr fortsetzbares Stadium" erreicht. Ein separater Staat sei nicht länger das Ziel, sondern das Zusammenleben von Völkern auf der Basis von Demokratie, Verfassung und Rechtsstaat.

Öcalans Aufruf an die PKK, einen Kongress abzuhalten und die Niederlegung der Waffen zu beschließen, zielt darauf ab, das Blutvergießen nach vielen Aufständen der Kurden im Verlauf der mehr als 90jährigen Republikgeschichte zu beenden. Somit ist aus seiner "Friedensbotschaft" lesbar, dass Kurden und Türken sowie auch andere ethnische und religiöse Minderheiten in dem NATO-Staat den Frieden untereinander ermöglichen sollen.

PKK-Chef Abdullah Öcalan (Foto: dpa)
PKK-Chef Abdullah ÖcalanBild: picture-alliance/dpa

Doch der in den vergangenen Jahren immer uneinsichtiger agierende türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan gefährdet mit der erneuten Verneinung der Existenz eines Konflikts mit Kurden den eingeleiteten Friedensprozess. Statt versöhnlicher Botschaften bekräftigt Erdogan unmittelbar nach der Verlesung der Erklärung Öcalans in der südostanatolischen Kurden-Hochburg Diyarbakir durch kurdische Politiker vor zehntausenden PKK-Anhängern, er strebe bei den Parlamentswahlen am 7. Juni die Erhöhung der Mandatszahl der regierenden Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) von 318 auf 400 der 550 Sitze an, um die Verfassung im Alleingang ändern und das Präsidialsystem einführen zu können. Ihm könne ebenso wenig wie in den USA, Frankreich oder Mexiko das Streben nach Diktatur vorgeworfen werden. Dieses Ziel setzt unter anderem voraus, dass die kurdische Demokratische Partei der Völker (HDP) an der Zehn-Prozent-Hürde scheitert.

Erdogans Vorgehensweise verärgert inzwischen zunehmend seine bisherigen Weggefährten. Es ist nur allzu verständlich, wenn sein Nachfolger als Ministerpräsident, Ahmet Davutoglu, und dessen Stellvertreter Bülent Arinc ihn heftig kritisieren und versuchen, ihn in die Schranken zu weisen. In der Tat verliert Erdogan weiter an Rückhalt sogar im eigenen religiös-konservativen Lager, wenn er seine von der Verfassung vorgeschriebene Neutralität ignoriert und versucht, die Richtlinien der Politik seines Landes zu bestimmen. Das ist unklug, undemokratisch und forciert weitere Vertrauensverluste in ihn.

Baha Güngör, Leitung türkisches Programm der Deutschen Welle
Baha Güngör, Leitung türkisches Programm der DW

Erdogan spielt damit in die Hände der nationalistischen ebenso wie der kurdischen Opposition und überlässt ihnen die Trümpfe in der Argumentation für eine friedlichere und sicherere Atmosphäre im Lande. Er wäre gut beraten, sich auf seine präsidialen Pflichten als neutraler Repräsentant der türkischen Republik zu besinnen und entsprechend zu handeln. Andernfalls drohen der Türkei auch innenpolitische Zerreißproben, nachdem unter Erdogan als Regierungschef die Außen- und Europapolitik das Image der Türkei als ein zuverlässiger Partner westlicher Staatengemeinschaften in einer der konfliktreichsten Regionen der Welt erheblich beschädigt worden war.