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Ein europäischer Islam ist alternativlos

Loay Mudhoon14. Januar 2015

Seit dem Attentat von Paris wird eine Debatte um die vermeintliche Gewaltaffinität des Islam geführt. Das verstellt den Blick für die Erfolge der "Einbürgerung" des Islam in Deutschland, meint Loay Mudhoon.

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Symbolbild Islam in Deutschland
Bild: picture-alliance/Frank Rumpenhorst

Verständlicherweise werfen die perfiden Anschläge vom Paris altbekannte, grundsätzliche Fragen auf: Ist der Islam im Kern eine menschenverachtende und gewaltverherrlichende Religion? Lässt sich aus den zentralen Schriften dieser Weltreligion eine Legitimationsformel für die Gewaltorgien von enthemmten Dschihadisten ableiten? Und noch wichtiger: Ist die Integration der Muslime in Deutschland gescheitert?

Alle diese Fragen sind gewiss berechtigt. Dennoch gehen sie am Kern der Problematik vorbei, nämlich an der Frage nach der Vereinbarkeit der islamischen Religion mit den Errungenschaften der Moderne und den Werten der freiheitlich-demokratisch verfassten Gesellschaften.

Die Muslime sind kein monolithischer Block

Dass es den "Islam" als statische, unveränderliche Einheit nicht gibt, dürfte inzwischen allgemein bekannt sein. Auch Muslime bilden keinen monolithischen Block - nirgendwo auf der Welt. In jedem islamisch geprägten Land wird faktisch ein anderer Islam propagiert und praktiziert. Welten trennen beispielsweise das streng wahabitisch geprägte Saudi-Arabien vom herrschenden, schiitisch geprägten Staatsislamismus im Iran. Und in vielen wirtschaftlich erfolgreichen islamischen Ländern wie Malaysia und der Türkei hat sich längst eine pragmatisch-konservative islamische Mitte etabliert.

Diese Tatsache macht deutlich: Die Muslime entscheiden letztendlich selber darüber, was sie als "islamisch" definieren, völlig unabhängig davon, wo und wann sie leben. Der sunnitische Mehrheits-Islam ist nicht hierarchisch verfasst und kennt keine letzte Autorität wie den Papst in der katholischen Kirche. Und das führt uns unweigerlich zu der wichtigeren Grundfrage, die wir nach dem Anschlag in Paris stellen sollten: Welchen Islam möchten wir in Europa haben?

Loay Mudhoon (Foto: DW)
Loay Mudhoon, Leiter des Dialogportals Qantara.deBild: DW

Durch die emotionale und kontrovers geführte Debatte laufen wir Gefahr, den Blick für die bemerkenswerten Erfolge der vergangenen Jahre zu verlieren. Denn durch die Konstituierung der deutschen Islamkonferenz (DIK) 2005 und den dadurch angestoßenen Prozess der Einbürgerung des Islam in unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung hat sich eine Zeitenwende im deutschen Staatsverständnis vollzogen.

Erfolge bei der Einbürgerung des Islam

Allen Widrigkeiten und Streitigkeiten zum Trotz hat dieser Prozess des offenen Dialogs zwischen dem Staat und seinen Muslimen die gegenseitige Wahrnehmung und die Sichtbarkeit des Islam hierzulande grundlegend verändert. Auch wenn "der Islam" von populistischen Kräften als Projektionsfläche für schwer greifbare Ängste gebraucht und immer öfter missbraucht wird, lassen sich die Erfolge aktiver Integrationspolitik nicht leugnen.

Inzwischen sind wir auf Ebene der Bundesländer mit der Einführung eines bekenntnisorientierten Islamunterrichts an staatlichen Schulen voran gekommen. Auch die Etablierung von Lehrstühlen für islamische Theologie an hiesigen Universtäten ist vielversprechend und wird sicherlich einen wichtigen Beitrag dazu leisten, dass sich in Deutschland und Europa ein genuin europäischer, demokratiekompatibler Islam entwickelt und "importierte" Lesarten des Islam obsolet machen.

Weil der Islam immer ein Kind seiner Zeit war und die islamische Theologie ein Produkt politischer Macht ist, sollten Staat und Gesellschaft alles dafür tun, dass die Europäisierung des Islam beschleunigt wird. Dass dies alternativlos ist, haben die furchtbaren Terroranschläge in Frankreich auf brutale Art und Weise gezeigt.