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Die Logik des Hamsterrads

Daniel Heinrich18. Januar 2015

In Deutschland zählt wenig so viel wie Erfolg im Job. Doch immer mehr Menschen haben psychische Probleme. Die sind zwangsläufig, wenn man sich beruflich wie privat zu vielen Zwängen aussetzt, meint Daniel Heinrich.

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Symbolbild Stress am Arbeitsplatz
Bild: Fotolia/Joerg Lantelme

Die Deutschen sind ein hartes Volk. Sie lieben Perfektion in allen Lebenslagen. Dies reicht tief hinein in den Alltag und führt dazu, dass dem Kauf eines neuen Turnschuhs inzwischen eine elektronische Fußvermessung vorangestellt wird. Ist ja auch komplex, so ein Fußballen. Zwang zur Optimierung, gepaart mit Grundwerten wie Disziplin und Fleiß: So sind wir! Andere Länder mögen "Leichtigkeit" oder den Lebensstil des "Laissez-faire" propagieren - in Deutschland hat das keinen Platz. "Harte Arbeit", "immer dranbleiben", "fokussieren" - das sind die Stichworte, die nicht nur jedes Wochenende von Vertretern unseres Nationalsports Fußball ausgespuckt werden, wenn es um zukünftige Aufgaben geht. Mentale Probleme werden verdrängt, krank ist nur der, der eine Grippe oder seinen Arm gebrochen hat. Im Alltag treiben Mutmachersprüche wie "Jeder hat sein Päckchen zu tragen" und "Von nichts kommt nichts" die Menschen dazu, nicht Probleme zu thematisieren, sondern einfach weiterzumachen.

So ein Klima macht auf Dauer krank: Ein Drittel der Deutschen leidet inzwischen unter psychischen Problemen. Dennoch gilt, um im Fußballer-Jargon zu bleiben: abputzen, weitermachen. Dass einigen wenigen Menschen Talent, gute Gene, ein goldener Löffel in der Wiege oder schlicht Glück zu dem verholfen haben, was sie in der Gesellschaft darstellen, kommt nicht vor in der Logik. So mag ein Durchschnittskicker noch so "hart" auf dem grünen Rasen ackern, ein Mario Götze wird aus ihm nie werden. Aber das zählt nicht. Ausreden werden nicht geduldet: Wer oben steht, gilt als härter als einer, der es "geschafft" hat. Und in der öffentlichen Wahrnehmung oft schlicht als besser als die, die vermeintlich "unten" stehen.

Beruflicher Erfolg als höchstes Gut

Folgt man den durch die Gesellschaft vorgegebenen Normen, so die gängige Logik, erreicht man das, was hierzulande immer noch als höchstes Gut gilt: Erfolg. Beruflichen Erfolg. Und dazu geht's erstmal ab ins Karrierehamsterrad. Rennen, immer rennen. Eine gelungene Ehe oder ein glückliches Leben können da auf dem "Haben-Konto" kaum verbucht werden. Es zählt nicht, wer du bist, sondern was du machst. An der Entlohnung von Altenpflegern und Krankenschwestern im Vergleich zu jungen Juristen oder Diplom-Kaufleuten sieht man, worauf es in unserer Gesellschaft ankommt. Dass letztere sich am Wochenende vor lauter innerer Leere vielfach durch Großstadtnächte koksen - darüber redet kaum jemand.

Um den Druck dieser auf Schnelllebigkeit getrimmten Gesellschaft noch zu erhöhen, hängt man zusätzlich der Vorstellung nach, sich in längst überwunden geglaubte Vorgaben pressen lassen zu müssen: spätestens mit 30 die feste Partnerschaft, das Auto, das doppelnamige Kind und dann schon bald das eigene Haus. Getrieben von einer inneren Abhakliste jagen Generationen von Deutschen willkürlich festgesetzten Zielen hinterher, werden Daten, wie ein 30. Geburtstag zum Fallbeil für ein gelungenes Leben erhoben. Und jeder, der nicht in das vorgegebene Raster passt, zum Hippie abgestempelt. Hauptsache der Tiefgaragenstellplatz ist gesichert und der Bio-Supermarkt um die Ecke. Es ist abstrus: Anstatt die Vorteile unseres Wohlstandes wahrzunehmen - ein funktionierendes Gesundheitssystem, kostenlose Schulbildung, ein weitgehend sicherer öffentlicher Raum oder für die, die einen Touch Pathos mögen, "sieben Jahrzehnte Frieden in Europa" - stürzt man sich auf Nebenkriegsschauplätze. Und dann wird plötzlich ein geplatzter Kino-Besuch am Wochenende zum Auslöser für eine Beziehungskrise.

Programmvolontäre der DW 2013-2015
Daniel HeinrichBild: DW/M. Müller

Zwangsläufiges Scheitern

Und niemanden scheint dies wirklich zu stören: Selbstreflexion ist ja auch mühsam. Immer am Limit. Nur hart ist gut. Das ist der große Irrglaube in unserem Land. Eine Annahme, die auf tönernen Füßen ruht: Die dadurch erwachsenen Ansprüche können sich im Einzelfall ins Unermessliche steigern. Und derjenige, der diesem Irrglauben zu sehr aufsitzt, wird früher oder später an den eigenen Ansprüchen zerbrechen, oder psychisch komplett leer sein. Und dann hilft auch der perfekte Turnschuh nichts mehr.