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Kommentar: Die gewonnene Ehre des Christian Wulff

Marcel Fürstenau27. Februar 2014

Das ehemalige Staatsoberhaupt ist vom Vorwurf der Vorteilsnahme freigesprochen. Trotzdem bleibt das Bild eines Mannes, der dem Amt nicht gewachsen war. Aber auch die Medien haben versagt, meint Marcel Fürstenau.

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DW-Berlin-Korrespondent Marcel Fürstenau - Foto: DW
DW-Berlin-Korrespondent Marcel FürstenauBild: DW

Christian Wulff ist rehabilitiert. Das ist ihm zu gönnen. Nicht aus Mitleid, sondern weil der Freispruch des Landgerichts Hannover eine Art ausgleichende Gerechtigkeit ist. Der im Februar 2012 wegen Korruptionsvorwürfen zurückgetretene Bundespräsident ist jenseits juristischer Erwägungen schon mehr als bestraft worden. Gut ein Jahr später erhob die Staatsanwaltschaft Niedersachsen Anklage wegen Vorteilsnahme im Amt. Wohl infolge seines tiefen Sturzes scheiterte Wulffs zweite Ehe.

Unabhängig vom jetzt ergangenen Urteil bleibt festzuhalten: Der 54-Jährige hat beruflich und privat einen außergewöhnlich hohen Preis zahlen müssen. Die Ursachen und Gründe dafür liegen sowohl bei ihm als auch außerhalb seiner Person. Es ist die Geschichte eines um Anerkennung ringenden Politikers, der sein Privatleben freiwillig öffentlicher gemacht hat als nötig. Bereitwillig gewährte er nicht zuletzt der Boulevardpresse einen Blick durchs Schlüsselloch. Mit seiner viel jüngeren, attraktiven Frau Bettina an der Seite genoss Wulff sichtbar seine Popularität als erster Mann im Staat. Das passte nicht immer zur Würde des Amtes, in dem eine gewisse Zurückhaltung, idealerweise sogar Noblesse erwartet wird.

Schlechtes Krisenmanagement und Sensationsgier

Diese Tugenden sind dem von Hause aus eher bieder wirkenden Wulff nicht in die Wiege gelegt worden. Dennoch hätte er weiter Bundespräsident bleiben und vielleicht an Statur gewinnen können, hätte die Staatsanwaltschaft nicht gegen ihn ermittelt. Das war angesichts der im Raume stehenden Vorwürfe unvermeidlich. Es ist müßig, darüber zu spekulieren, ob auch die Anklageerhebung zwingend war. Aus rund 12.000 Seiten Ermittlungsakten hat sie eine Vorteilsnahme in Höhe von 753 Euro und 90 Cent herausdestilliert, die sich nun auch noch als unzureichend für einen Schuldspruch entpuppt hat. Interessanter ist da schon die Frage, welche Rolle Medien in der ganzen Affäre gespielt haben. Zu mutmaßen, sie hätten die Anklage durch ihre mitunter gnadenlose Berichterstattung gewissermaßen heraufbeschworen, ist zumindest legitim.

Wulffs Krisenmanagement als noch amtierender Bundespräsident war miserabel, daran besteht kein Zweifel. Aber er wurde auch von einer journalistischen Meute in die Enge getrieben, die bei allem berechtigten und notwendigen Aufklärungsinteresse auch ihre Lust an der Jagd auf einen Prominenten kaum verbergen konnte. Irgendjemand hat ausgerechnet, dass die Wulff-Affäre unfassbare 22 Stunden Thema in diversen TV-Talkshows war! Ursache und Wirkung gingen eine merkwürdige Verbindung ein. Es war eine nicht zu stoppende Kettenreaktion: Hier die Geltungssucht eines Emporkömmlings, dort die mitunter niederen Instinkte eines Berufsstandes, der sein Opfer in die Enge treibt. Beide Seiten waren in diesem unwürdigen Spiel Opfer und Täter zugleich.

Der Angeklagte nutzt seine letzte Chance

Am Ende dieses Dramas gibt der gefallene Ex-Präsident ein besseres Bild ab. Wulff nutzte ein letztes Mal die öffentliche Bühne, um im Prozess gegen ihn in dosierter Form seine Unschuld zu beweisen. Das ist ihm mithilfe seiner Anwälte gelungen. Derweil nutzten zahlreiche Medien erneut die Gelegenheit, um wieder die schnelle Schlagzeile zu produzieren oder das vermeintlich entlarvende Bild mit der Kamera einzufangen. Etwa, als sich Christian und Bettina Wulff in den Gängen des Gerichtssaals zur Begrüßung flüchtig küssten. Da war sie wieder, die nimmersatte Sensationslüsternheit mancher Journalisten. Christian Wulff kann und muss sich damit trösten, dass er seine Ehre wiedergewonnen hat.