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Nah und fern zugleich: Der Erste Weltkrieg

Susanne Spröer9. Januar 2014

100 Jahre Erster Weltkrieg: Viele Medien schlagen Brücken zwischen 1914 und 2014. Klar gibt es Parallelen, meint Susanne Spröer. Aber sind nicht die Unterschiede viel wichtiger?

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Porträtfoto Susanne Spröer (Foto: DW)
Susanne Spröer, Leitung Redaktion Kultur/GeschichteBild: DW/P. Henriksen

Schützengräben und Gasmasken, Pickelhauben und Propagandapostkarten: Seit Wochen präsentieren Zeitungen, Magazine und Online-Medien das große Gedenkjahr 2014. Vor 100 Jahren begann der Erste Weltkrieg.

Oft wird dabei eine große Nähe der Welt von 1914 zur heutigen beschworen. Es geht um die "unheimliche Aktualität des Ersten Weltkrieges", eine "Vergangenheit, die nie vergeht" oder "das unheilvolle Echo des Großen Krieges".

Und es stimmt: Es gibt tatsächlich Parallelen zwischen 1914 und 2014.

Auch damals blickten die Menschen in eine sich rasant verändernde Zukunft, mit neuen Transportmitteln (wie dem Auto), neuen Medien (dem Kino) und neuen Kommunikationstechniken (dem Telefon). Es war eine Zeit der Modernitätsgläubigkeit, des Aufbruchs, einer ersten Globalisierungswelle, des internationalen Reisens. Ein erster Blick in eine Zukunft, die Menschen nach ihren Bedürfnissen gestalten wollten.

Mit den Mitteln ihrer Zeit. Doch das waren nicht die Mittel von heute.

Wie die serbischen Nationalisten damals kämpfen zwar auch heute Separatisten in Europa für Unabhängigkeit, zum Beispiel Katalanen in Spanien oder Schotten in Großbritannien. Aber in den allermeisten Fällen eben nicht mehr mit Gewalt – sondern mit Argumenten.

Terrorismus damals und heute

Und wie die Verschwörer von Sarajewo gibt es bis heute Menschen, die von Ideologien verblendet für extremistische Ziele in den Tod gehen: die Drahtzieher der Anschläge von 9/11 oder die Selbstmordattentäter, die fast täglich in Bagdad Unschuldige mit in den Tod reißen.

Doch solche Taten werden von der Völkergemeinschaft heute geächtet. Genauso wie das Diktum vom Krieg als "Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln". Das hatte der preußische General und Militärtheoretiker Carl von Clausewitz im 19. Jahrhundert formuliert. Am Vorabend des Ersten Weltkrieges beschrieb es eine legitime politische Handlungsmöglichkeit für die damaligen Mächtigen.

Das schreckliche Gesicht des Krieges

Und nicht nur für sie. Auch viele städtische Bürger und sogar zahlreiche Künstler und Intellektuelle im Deutschen Reich befürworteten 1914 einen Krieg, von dem sie sich die Reinigung des Menschen versprachen: "Krieg! Es war eine Reinigung, Befreiung, was wir empfanden, eine ungeheure Hoffnung", schrieb der spätere Literaturnobelpreisträger Thomas Mann über den Kriegsbeginn. Das mag uns heute naiv erscheinen, aber die Millionen Toten in den Schützengräben, die psychisch verwundeten "Kriegszitterer", die schrecklich verstümmelten Gasopfer – all das stand den Menschen 1914 ja erst noch bevor.

Weil wir das schreckliche Gesicht des Krieges heute nur allzu gut kennen, ist es schwer vorstellbar, dass die europäischen Staaten noch einmal das Verhandeln aufgeben und - wie 1914 - leichtfertig in einen Krieg schlittern könnten. Der Militarismus war zu Beginn des 20. Jahrhunderts in den europäischen Gesellschaften tief verwurzelt, ganz besonders in der deutschen. Heute ist davon in der Bundesrepublik nichts mehr zu spüren. Im Gegenteil: Seit der Abschaffung der Wehrpflicht im Jahr 2011 hat die Bundeswehr große Probleme, soldatischen Nachwuchs zu rekrutieren.

Der lange Weg Europas

Und während die Handelnden am Vorabend des Ersten Weltkrieges fast allesamt ältere, adelige Männer mit militärischem Hintergrund waren, repräsentieren die Vertreter der demokratisch gewählten Regierungen Europas heute die verschiedensten gesellschaftlichen Gruppen. Es sind junge und alte Menschen darunter, Männer wie Frauen. 1914 durften Frauen noch nicht einmal wählen, heute ist eine siebenfache Mutter deutsche Verteidigungsministerin.

Ja, es gibt Parallelen zwischen 1914 und 2014. Aber seitdem ist doch so viel passiert! Deutschland und seine Nachbarn haben aus der Geschichte gelernt, stehen heute für Demokratie und Meinungsfreiheit. Aus den einstigen Kriegsgegnern sind Freunde geworden, streitbare Freunde, aber Freunde, die in gemeinsamen Institutionen wie der EU oder der UNO und nach demokratischen Regeln Politik gestalten. Das geht natürlich nicht immer reibungslos – aber doch so viel besser als 1914, als es EU oder UNO noch gar nicht gab. Nicht Krieg, sondern nur Versöhnung, Verständigung und Verhandlungen können langfristig den Frieden sichern. Das ist heute Konsens, und dafür ist Europa einen langen Weg gegangen.

Das sollten wir nicht vergessen. Denn 2014 jährt sich nicht nur der Beginn des Ersten Weltkrieges. Sondern auch der Ausbruch des Zweiten Weltkrieges (1939), der Mauerfall (1989) und die EU-Osterweiterung (2004). Wie einst verfeindete Staaten die Vision eines vereinten Europas verwirklichen konnten, ist die europäische Erfolgsgeschichte des 20. Jahrhunderts.