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Der "Doc" ist nicht schuld

17. April 2015

Bayern-Teamarzt Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt schmeißt nach Differenzen mit Trainer Pep Guardiola das Handtuch. Das verrät viel über den Zustand des FC Bayern, findet DW-Sportredakteur Stefan Nestler.

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Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt mit Trainer Pep Guardiola. Foto: imago/Ulmer
Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt (r.) mit Trainer Pep GuardiolaBild: imago/Ulmer

Ein Vereinsarzt geht, na und? So könnte man vielleicht über den plötzlichen Rücktritt Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrts als Mannschaftsarzt des FC Bayern München hinweggehen, würde es sich aber damit viel zu einfach machen. Der Mann ist eine Institution. Seit 38 Jahren arbeitete Müller-Wohlfahrt für den deutschen Rekordmeister - mit nur einer kurzen Unterbrechung, als er sich 2008 mit dem damaligen Trainer Jürgen Klinsmann überwarf. Für die Bayern-Spieler ist er schlicht der "Doc". Seit 1996 betreut der Arzt, dessen Erkennungszeichen seine schulterlangen, erst jetzt allmählich ergrauenden Haare sind, auch die deutsche Nationalmannschaft. In seiner Praxis geben sich Sportler aus aller Welt die Klinke in die Hand. Sprint-Superstar Usain Bolt, der zu Müller-Wohlfahrts Patienten gehörten, bezeichnete ihn einmal als "besten Arzt der Welt". Der "Doc" ist ein fester Bestandteil der Bayern-Erfolgsgeschichte.

Guardiolas Affront

Wenn so jemand mit seinem Ärztestab plötzlich die Brocken hinwirft, sagt das einiges über die Atmosphäre im Verein aus. Von wegen Friede, Freude, Eierkuchen! Es knistert im Gebälk. Trainer Pep Guardiola ist ein Perfektionist, der nicht nur alles unter Kontrolle haben, sondern auch aktiv steuern will. Guardiola brachte, als er 2013 zu den Bayern stieß, nicht nur seine spanischen Assistenten mit nach München, er sorgte in der Folge auch dafür, dass die spanischen Spieler Thiago, Juan Bernat und Xabi Alonso an die Isar kamen. Der medizinischen Kunst Müller-Wohlfahrts misstraute Guardiola offenbar. Als sich Thiago zum wiederholten Male eine schwere Bänderverletzung zuzog, schickte der Trainer ihn zur Behandlung nach Barcelona. Ein Affront gegen Müller-Wohlfahrt.

Von der Perfektion weit entfernt

Der 72-Jährige fühlt sich jetzt auch noch "aus unerklärlichen Gründen", wie er sagt, als Sündenbock missbraucht: für die 1:3-Niederlage im Champions-League-Hinspiel beim FC Porto. Zugegeben, die Liste der Verletzten bei den Bayern ist lang. Aber seit wann ist ein Arzt dafür verantwortlich, dass Spieler außer Gefecht gesetzt wurden? Und dass sich die in Porto aufgebotenen Profis zum Teil haarsträubende Fehler leisteten? Wenn einer dafür, neben den Spielern, die Verantwortung trägt, dann doch wohl der Trainer. Porto hat schonungslos offengelegt, was in der Bundesliga auch schon der VfL Wolfsburg und Borussia Mönchengladbach mit ihren Siegen gegen die Münchener angedeutet hatten: Von der Perfektion, die Guardiola anstrebt, sind die Bayern derzeit weit entfernt. Und wenn es aus Sicht der Münchener mies läuft, könnte am Ende der Saison statt des angestrebten Triples "nur" der deutsche Meistertitel übrig bleiben. Zu wenig für die erfolgsverwöhnten Münchener, bei denen die Latte traditionell sehr hoch liegt.

Darf Guardiola alles?

Selbst wenn beim Rücktritt Müller-Wohlfahrts auch eine gewisse Portion verletzte Eitelkeit mitspielen sollte, drängen sich dennoch zwei Fragen auf: Gibt es bei den Bayern derzeit eigentlich noch jemanden in der Führungsspitze, der Guardiola in seine Schranken weisen kann, wenn er den Bogen überspannt? Und was geschieht, wenn der Spanier eines Tages, aus welchen Gründen auch immer, seine Zelte bei den Bayern abbricht und mit seinem ganzen spanischen Tross aus München verschwindet? Spätestens dann dürften Leute wie Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt und das, wofür sie stehen, schmerzlich vermisst werden.

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DW Kommentarbild Stefan Nestler
Stefan Nestler Redakteur und Reporter