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Kommentar: Alter Zwist, neue Optionen

Gero Schließ1. Oktober 2014

Der Vormarsch der IS-Miliz könnte US-Präsident Obama und Israels Premier Netanjahu wieder näher zusammenbringen. Doch Netanjahu hat in Washington keine Aufweichung seiner Position erkennen lassen, meint Gero Schließ.

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Benjamin Netanjahu bei Barack Obama (Foto: REUTERS/Kevin Lamarque)
Bild: Reuters/Kevin Lamarque

Diesmal könnte alles anders sein. Unzählige Male haben sich Präsident Obama und Israels Premierminister Netanjahu getroffen. Es gibt wohl keinen ausländischen Regierungschef, den Barack Obama häufiger im Weißen Haus empfangen hat. Doch nie verliefen diese Begegnungen nach Art harmonischer Familientreffen, bei denen man sich herzlich zugetan war und rasch zu einer gemeinsamen Bewertung der Weltenläufe fand. Ob beim Jahrhundertkonflikt zwischen Israel und den Palästinensern oder den Nukleargesprächen mit dem Iran, die Fronten zwischen beiden Männern verliefen immer gleich: Während Benjamin Netanjahu den amerikanischen Präsidenten einer zu großen Nachgiebigkeit verdächtigt und im Grunde seines Herzens für zu schwach ansieht, hält Obama den israelischen Premierminister für einen Dickschädel, der mit Härte und Kompromisslosigkeit am Ende friedensstiftende Vereinbarungen verhindert.

Diesmal könnte alles anders sein. Denn die Welt hat sich verändert. Sie ist gefährlicher geworden, auch für Israel. Das Land ist wie nie zuvor umgeben von Gewalt und Chaos: In Syrien über den Gazastreifen, Libanon und einem nur scheinbar stabilen Ägypten lauern überall Gefahren. Und das alles wird in den Schatten gestellt von der bisher ungekannten Terrorgefahr, die von der Miliz des Islamischen Staates (IS) ausgeht. Das hat die Welt zusammenrücken lassen - auch die arabischen Golfstaaten und die Amerikaner. Ob es Israel und die USA näher bringt, ist allerdings ungewiss.

Gleichgelagerte Interessen

Auf jeden Fall ist Bewegung gekommen in die alten Konstellationen des Mittleren Ostens. Seit vielen Jahren ist es Präsident Obama erstmals wieder gelungen, fünf arabische Staaten in eine Koalition mit den USA zu bringen. Netanjahu hat bei seinem Treffen mit Obama darauf angespielt und zu Recht darauf verwiesen, dass es gemeinsame israelisch-arabische Interessen gibt. Sie verbindet nicht nur der Kampf gegen den IS, sondern auch die Gegnerschaft zum Iran, von dem sich Israel gleich doppelt bedroht fühlt: durch Irans Verbündeten, die im Gazastreifen herrschende Hamas und durch das Nuklearprogramm, über das unter Einschluss Deutschlands jetzt schon fast ein Jahr verhandelt wird.

Gero Schließ (Foto: DW/Per Henriksen)
Gero Schließ, WashingtonBild: DW/P. Henriksen

Es stimmt: Die gleichgelagerten Interessen Israels und der arabischen Staaten könnten völlig neue strategische Optionen eröffnen. Nur so laut sollte das Netanjahu nicht sagen: Denn solange es mit den Palästinensern keine Einigung über eine auskömmliche Zwei-Staaten Lösung gibt, wird es für die arabischen Potentaten keinen politischen Spielraum für eine Annäherung an Israel geben. Auch Präsident Obama kann nur wenig daran ändern, dass sich seit dem blutigen Gaza-Krieg die Aussichten dafür erst einmal verdüstert haben. Amerikanische Kritik am israelischen Vorgehen und den vielen zivilen palästinensischen Opfern hat damals wenig bewirkt. Und vor den wichtigen Midtermwahlen in den USA hält die starke jüdische Lobby einen wirkungsvollen Hebel in der Hand, Obama in die Schranken zu weisen und seine Position gegenüber Netanjahu zu schwächen. Dem Präsidenten blieb jetzt nur, Netanjahu noch einmal eindringlich zu ermahnen, mit den Palästinensern eine dauerhafte Friedenslösung zu suchen, unter Einschluss eines veränderten Status. Mit der nachgeschobenen Drohung, dass eine Fortsetzung des Siedlungsbaus Israel von seinem engsten Verbündeten entfremden würde, hat er aber zumindest Zähne gezeigt.

Veränderte Weltlage?

Diesmal könnte alles anders sein, aber es sieht wohl nicht danach aus. Netanjahu hat in Washington gegenüber den Palästinensern keine Aufweichung seiner Position erkennen lassen. Das gleiche gilt für die Causa Iran. Absichtsvoll fuhr er bereits in seiner Rede vor der UN-Vollversammlung schweres Geschütz auf und hat knallhart argumentiert, dass der IS brandgefährlich ist, dass aber der Iran eine noch viel größere Gefahr darstellt. Damit will er den Druck auf Präsident Obama noch einmal erhöhen, sich nur ja nicht auf Kompromisse einzulassen, die dem Iran mittelfristig Fähigkeiten zum Bau einer Atombombe erhält.

Doch möglicherweise denkt Netanjahu nicht strategisch. So wie die amerikanische Anti-IS-Koalition mit den arabischen Golfstaaten neue Optionen eröffnet, könnte auch eine Einigung mit dem Iran die Weltlage verändern. Die ganze Region würde von der dann möglichen Beteiligung Irans am Kampf gegen den IS profitieren. Und Irans Verbündete in Israels unmittelbarer Nachbarschaft - die Hamas, und Syriens Präsident Assad - verlören mittelfristig an Droh- und Zerstörungspotential. Dass es so kommt, ist eher unwahrscheinlich. Doch die Hoffnung sollte man nicht verlieren.