1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Sierens China

Frank Sieren16. Juni 2014

Dass Russland und China gemeinsam den US-Ratingagenturen Konkurrenz machen wollen, kann nicht schaden, meint DW-Kolumnist Frank Sieren.

https://p.dw.com/p/1CJNF
Symbolbild China und Russland gründen Ratingagentur
Bild: STR/AFP/GettyImages

Die Krise in der Ukraine mag das Verhältnis zu Russland belasten, doch für Brüssel wäre es nun an der Zeit, zumindest für einen Moment inne zu halten und dankbare Grüße nach Moskau zu schicken. Denn offensichtlich ist eben doch nicht jede in diesen Tagen im Kreml ersonnene Idee gleich ein Angriff auf die Stabilität der EU.

Der von Russlands Finanzminister Anton Siluanow vorgestellte Plan, gemeinsam mit China eine neue Ratingagentur zu schaffen, ist sogar genau das Gegenteil. Peking und Moskau wollen den bisher allmächtigen amerikanischen Agenturen Standard & Poor's, Moody's und Fitch Konkurrenz machen.

Eine gute Nachricht

Eine gute Nachricht nicht nur für Asien, sondern auch für Europa. Denn Europas Krisenmanager erinnern sich noch immer mit Schrecken daran, was die amerikanischen Ratingagenturen vor nicht einmal fünf Jahren für ein Chaos auf dem Kontinent angerichtet haben. Sie haben wieder einmal gezeigt: Internationale Monopole einer Weltmacht gehören verboten, auch wenn die Grundidee dieser Agenturen richtig ist und es gut war, sie zu erfinden.

Die Ratingagenturen prüfen die finanzielle Lage sowohl von Unternehmen als auch von ganzen Staaten und geben ihnen eine Note, die Aufschluss darüber gibt, wie riskant es ist, dem jeweiligen Staat oder Unternehmen Geld zu leihen. In der Politik, aber auch in der globalen Finanzindustrie, hielt man sich zumindest bis zum Herbst 2008 strikt an ihr Urteil, bis sich herausstellte, dass sie mit den Banken unter einer Decke steckten. Bis dahin galt jedoch: Senken die Agenturen den Daumen über einem Land, bringen Investoren ihr Geld in Sicherheit, verkaufen ihre Staatsanleihen und die betroffenen Staaten geraten in Schwierigkeiten.

Politik im Sinne der USA

Damit hatten die USA unglaubliche Macht, die die der Wallstreet noch unterstützte. Viel zu oft sahen Agenturen die Welt durch die amerikanische Brille. Oder schlimmer noch: Sie machten Politik im Sinne der USA, so wie bei Europas Schuldenkrise. Kaum hatte Brüssel die Lage in Griechenland mit einem Rettungspaket stabilisiert, senkten die emsigen Agenturen der USA beinahe zeitgleich den Daumen über Spanien, Brüssel reagierte, die Agenturen antworteten und straften Portugal ab, Brüssel reagierte wieder und das Spiel ging in Griechenland wieder von vorne los. Zwar hatten die betroffenen Staaten tatsächlich zu hohe Schulden angehäuft, doch schon über Jahre hinweg, ohne, dass dies die US-Ratingagenturen sonderlich gestört hätte. Dass sie just in diesem Moment koordiniert den Daumen senkten, als die europäischen Regierungen das Problem in den Griff zu bekommen versuchten, spricht Bände. Zumal die USA, die noch immer mit Abstand am höchsten verschuldete Nation der Welt, sich bei den heimischen Agenturen noch immer über ein Toprating freuen kann.

Und Europa ist nicht die einzige Region der Welt, die unter den Ratingattacken der Amerikaner leidet. Wie teuer die Folgen eines negativen Ratings sein können, bekam Moskau vor kurzem selbst zu spüren. So stuften gleich zwei US-Agenturen das Rating des Landes während der Krim-Krise herunter. Bei Standard & Poor's wird das rohstoffreiche und fast schuldenfreie Land nun nur noch eine Note über Ramsch geführt. Die Zinsen für neue Staatsanleihen schossen so weit in die Höhe, dass Moskau die Ausgabe neuer Papiere abblasen musste.

Frank Sieren Kolumnist Handelsblatt Bestseller Autor China
DW-Kolumnist Frank SierenBild: Frank Sieren

US-Ratingagenturen attackieren China

Und auch China bekommt selbstverständlich regelmäßig sein Fett weg, obwohl unbestritten ist, dass das Reich der Mitte wirtschaftlich besser da steht als die meisten großen westlichen Volkswirtschaften - und als die BRICS-Mitstreiter allemal. In Peking hat man schon vor einigen Jahren die richtigen Schlüsse gezogen und eine rein chinesische Ratingagentur gegründet. Die konnte allerdings international noch wenig Aufmerksamkeit auf sich lenken. Mit der nun geplanten Gemeinschaftsagentur zwischen China, Russland und weiteren asiatischen Staaten, die noch ins Boot geholt werden sollen, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass der Durchbruch gelingt. Und das wäre ein großer Fortschritt, denn je mehr Ratingagenturen am Ende um die Aufmerksamkeit der Investoren buhlen, desto besser müssen sie auch in der Vergabe ihrer Risikobewertungen werden. Schade nur, dass die EU den Mut bisher nicht hatte. Pläne sind daran gescheitert, dass sich niemand gefunden hat, eine solche Agentur am Anfang zu finanzieren.

Und da es derzeit politisch nicht opportun ist, sich dem russisch-chinesischen Projekt anzuschließen, werden die Europäer diejenigen sein, die sich in diesem globalen Ratingspiel weiter herumschubsen lassen müssen.

Unser Kolumnist Frank Sieren gilt als einer der führenden deutschen China Spezialisten. Er lebt seit 20 Jahren in Peking.