Kolumbien: Erinnerungsarbeit in Dokumentarfilmen | Lateinamerika | DW | 14.04.2015
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Lateinamerika

Kolumbien: Erinnerungsarbeit in Dokumentarfilmen

Wie lässt sich politische Gewalt filmisch aufarbeiten? Wie trägt man damit zur Vergangenheitsbewältigung eines Landes bei? Diese Fragen standen im Mittelpunkt eines Workshops der DW Akademie in Bogotá.

Die Teilnehmer und Teilnehmerinnen des Workshops in Bogotá. (Foto: Matthias Kopp/ DW Akademie).

Teilnehmer des Workshops in Bogotá

"Wie empfindest du den derzeitigen Transformationsprozess in Kolumbien? Welche Erfahrungen hast du mit politischer Gewalt gemacht?" Es ist ein emotionaler Einstieg für die zwölf Teilnehmer des Workshops in Bogotá. Eine Woche lang werden sie sich intensiv damit befassen, was die jahrzehntelange Gewalt in Kolumbien durch Guerillas, Paramilitärs, Drogenmafias und staatliche Sicherheitskräfte bewirkt hat und wie sie diese Erfahrungen in neue Bildsprachen und kreative Erzählformen übersetzen können. Ziel des Workshops unter Leitung des Dokumentarfilmers Uli Stelzner ist es, neue Erzählformen zu suchen, um Zuschauer, die durch die immer gleichen Nachrichtenformate über Krieg und Konflikt abgestumpft sind, emotional anzusprechen und zum Nachdenken und Handeln anzuregen.

Feedback aus der Workshop-Gruppe: Eine Teilnehmerin stellt ihr Filmprojekt vor. (Foto: Matthias Kopp/ DW Akademie).

Gemeinsames Erarbeiten: Teilnehmerin stellt ihr Filmprojekt vor

Die Teilnehmer, die aus über 300 Bewerbern ausgewählt wurden, haben eines gemeinsam: Sie alle beschäftigen sich mit der audiovisuellen Dokumentation des Konflikts in Kolumbien. Aber sie tun dies aus unterschiedlichen Perspektiven. Einige sind im sozialen Bereich aktiv, andere arbeiten als Journalisten oder im gestalterischen Bereich. Jeder und jede von ihnen ist, wie alle Kolumbianer, vom Konflikt in irgendeiner Weise direkt betroffen. Sie haben Familienangehörige, Nachbarn oder Kollegen durch die Gewalt verloren. Im Workshop stellen sie ihre laufenden Projekte vor - es wird verglichen, analysiert, weiterentwickelt. Schnell entsteht eine Gruppendynamik, das gemeinsame Erinnern verbindet.

"Kolumbien ist ein traumatisiertes Land", sagt Matthias Kopp, Ländermanager der DW Akademie. "Lange Zeit haben sich die Menschen nicht getraut, öffentlich über ihre schlimmen Erfahrungen zu reden. Dies beginnt sich zu ändern seit es Aussichten auf ein Friedensabkommen gibt. Die Journalisten haben jetzt die schwierige und verantwortungsvolle Aufgabe, die Geschichten dieser traumatisierten Menschen aufzunehmen und auf eine Art und Weise weiterzugeben, die eine Veränderung auslösen kann. Ein erfahrener Filmemacher wie Uli Stelzner kann da wertvolle Unterstützung bieten."

Erinnerungsarbeit in Bildern - in Postkonflikt-Gesellschaften hat das Format Dokumentarfilm eine besondere Tragkraft. Wie vermittelt man das "Bild" von Vergangenheit und Identität? Seit über zwanzig Jahren lebt und arbeitet Uli Stelzner zwischen Deutschland und Guatemala - einem Land, das manche Ähnlichkeit mit Kolumbien hat. 1996 wurde dort der Bürgerkrieg durch ein Friedensabkommen beendet. Doch die Aufarbeitung des Konflikts und der zahlreichen Menschenrechtsverbrechen geht nur schleppend voran. Stelzners Film "La Isla" (2009) beschreibt, wie Opfer des Bürgerkriegs in Guatemala anhand von Akten aus einem ehemals geheimen Polizeiarchiv Aufklärung über den Tod ihrer verschwundenen Angehörigen finden. Ein Thema, das auch in Kolumbien, wo heute rund 90.000 Menschen als "verschwunden" gelten, äußerst virulent ist.

Auf der Suche nach neuen journalistischen Formaten: Die Gruppe während des Workshops. (Foto: Matthias Kopp/ DW Akademie).

Film-Workshop: Auf der Suche nach neuen Formaten

Die Gruppe analysiert Stelzners Film sowie Beispiele aus anderen Ländern unter verschiedenen Gesichtspunkten wie visuelle Bildsprache, Dramaturgie, Umgang mit traumatisierten Protagonisten, Darstellung von Geschichte im Film, kreative Nutzung von Archivmaterial oder Inszenierung im Dokumentarfilm. Geht der Film essayistisch an das Thema heran? Steht der persönliche Bezug im Vordergrund? Wie werden Menschenrechtsverletzungen thematisiert?

Neue Bildsprachen jenseits traditioneller Fernsehformate

Rege diskutieren die Filmemacher, warum im lateinamerikanischen Fernsehen kaum politische Dokumentarfilme zu sehen sind. Die tägliche Berichterstattung über Konflikt und Gewalt in Kolumbien erschöpft sich in den immer gleichen sensationalistischen Nachrichtenformaten. Tiefgründige Analysen haben darin keinen Platz. Umso mehr fühlen sich die Teilnehmer durch die im Workshop gezeigten Autorenfilme angesprochen. "Sie lösen viel mehr Emotionalität aus als traditionelle TV-Reportagen", meint ein Teilnehmer.

Viel Anregung und Inspiration für die eigene Filmarbeit: Das Feedback der Kollegen hilft, den eigenen Ansatz zu reflektieren und die Möglichkeiten der Bildsprache auszuloten. "Dieser Workshop stellt eine außergewöhnliche Möglichkeit dar. Wir erfahren, wie unterschiedlich die komplexe Wirklichkeit Kolumbiens filmisch dargestellt werden kann", sind sich die Teilnehmer einig. Am Ende entsteht ein Netzwerk, alle bieten sich gegenseitig Unterstützung bei Recherche, Technik und diversen Produktionsetappen an. Es entsteht die Idee, ein gemeinsames Projekt zu erarbeiten: Zwölf Kurzfilme aus den Projektideen der zwölf Teilnehmer zu entwickeln und Fernsehsender und Nichtregierungsorganisationen dafür zu gewinnen.


Der Workshop "Kreative Dokumentarfilme in Nachkriegsgesellschaften" unter Leitung von Uli Stelzner fand im Anschluss an die Konferenz "Die Herausforderungen des Journalismus in der Nachkriegszeit" des Netzwerkes Consejo de Redacción (CdR) statt. Die DW Akademie arbeitet seit 2013 mit CdR zusammen. Die Themen konfliktsensibler Journalismus und journalistische Aufarbeitung von Konflikten stehen im Mittelpunkt der Projekte der DW Akademie in Kolumbien. Die Projekte der DW Akademie in Kolumbien werden vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) finanziert.

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  • Datum 14.04.2015
  • Autorin/Autor Charlotte Hauswedell
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  • Permalink https://p.dw.com/p/1F7ZO
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