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Hungriger Klimawandel

20. November 2011

Die Zahl der Menschen wächst, ebenso die Zahl der Hungernden. Der Klimawandel verschärft die Nahrungsmittelkrise zusätzlich. Direkt durch Dürren und Unwetter. Indirekt durch fragwürdige Versuche, ihn zu bremsen.

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Wo kein Wasser ist, wächst nchts mehr (Foto: ap)
Wo kein Wasser ist, wächst nchts mehrBild: AP

"Die Hunger - und die Klimakatastrophe lassen sich nur gemeinsam bekämpfen, sie sind zwei Seiten einer Medaille", sagt Klaus Töpfer. Der Ort, an dem er das sagt, bildet einen scharfen Kontrast zu den Problemen, über die der frühere deutsche Umweltminister redet: Sommerempfang im IASS in Potsdam, dem "Institute for Advanced Sustainaible Studies". Seit Anfang 2009 gibt es dieses Institut, finanziert aus Mitteln des Bundes und des Landes Brandenburg. Bis zu 50 Spitzenforscher aus aller Welt sollen hier zusammengeführt werden und zu den Themen Klimawandel, Nachhaltigkeit und Energiesicherheit arbeiten.

Klaus Töpfer (Foto: dpa)
Klaus Töpfer: "Zwei Seiten einer Medaille."Bild: picture alliance/dpa

Das Institut hat seine Räume in einer schönen alten Villa. Deren Räume dienten während der deutschen Teilung der Staatsbank der DDR. Im Garten der Villa werden erlesene Weine gereicht und feine Häppchen angeboten. Aber Töpfer, Gründungsdirektor des IASS und früherer Chef des Umweltprogramms der Vereinten Nationen UNEP mit Sitz in Nairobi, ist mit seinen Gedanken in den armen Ländern des Südens – und in der Zukunft: "Bald werden wir neun Milliarden Menschen sein. Klimapolitik und die Bekämpfung des Hungers werden deshalb immer mehr Friedenspolitik erster Güte sein, ob wir wollen oder nicht."

Hungerbekämpfung wird Friedenspolitik

Logo Germanwatch (Foto: Germanwatch)
Klimaschutz ist nicht länger nur Problem des reichen Nordens

Ein paar Meter weiter steht Klaus Milke von der deutschen Umweltgruppe "Germanwatch". Er pflichtet Töpfer bei und erinnert an die Völkerwanderungen der späten Antike. Milke beobachtet eine veränderte Sichtweise in den armen Ländern: "Für viele Länder hatte jahrelang die Hungerbekämpfung absoluten Vorrang. Wenn man diesen Ländern mit dem Klimaschutz kam, hieß es: Das ist ein Luxusproblem der westlichen Länder, wir hier im Süden brauchen Wachstum, das wir nicht durch zuviel Klimaschutz begrenzen wollen." Doch jetzt, so Milke, denken die armen Länder anders. Sie sehen den Zusammenhang von steigender globaler Temperatur, der Vernichtung der Urwälder, den zunehmenden Dürren - und damit des Hungers.

Ländliche Entwicklung vernachlässigt

"Die Hauptursachen für die immer größeren Hungerkatastrophen sind Dürren und Überflutungen, und die werden durch den Klimawandel extrem verschärft – die armen Länder sind wieder einmal nicht Schuld an den Problemen, mit denen sie kämpfen," beklagt Bärbel Höhn, grüne Bundestagsabgeordnete und frühere Ministerin in Nordrhein – Westfalen.

Die Grünen-Politikerin Bärbel Höhn auf einer Kundgebung (Foto: dpa)
Die Grünen-Politikerin Bärbel Höhn auf einer KundgebungBild: picture-alliance/ dpa

Sie hat Zeit für ein kurzes Gespräch in einem Cafe im Berliner Regierungsviertel. Tatsächlich verursacht etwa ganz Afrika weniger als drei Prozent der globalen Treibhausgase. An Appellen, den Hunger zu bekämpfen, mangelt es nicht. So nennen auch die Millenniums - Entwicklungsziele der UN die Hungerbekämpfung als ein zentrales Ziel. Aber tatsächlich ging der Anteil der Hilfen für die ländliche Entwicklung in der Entwicklungshilfe der reichen Länder in den letzten Jahrzehnten eher zurück - ebenso in den Haushalten der armen Länder selbst.

Ein Grund: Liberalisierung galt lange als Zauberwort, staatliche Eingriffe wurden als wenig produktiv angesehen. Und die Doha-Runde für eine Liberalisierung des Welthandels schaffte es nicht, den armen Ländern eine faire Chance zur Teilhabe am Weltmarkt zu ermöglichen.

Die dunkle Seite des Biosprits

Tank oder Teller? (Foto: dpa)
Tank oder Teller?Bild: picture-alliance/ dpa

Und jetzt kommt auch noch der Klimawandel – und zusätzlich: Die Art des Westens, ihm zu begegnen. Um die eigene Klimabilanzen zu verbessern, setzen viele Länder in Europa und die USA auf Agrarsprit. Die dafür notwendigen Energiepflanzen wie Mais, Zuckerohr oder Palmöl lassen sie oft in den armen Ländern anbauen. Ihr Export in den Westen verschärft das Hungerproblem. "Dazu kommt auch noch unsere Art des Konsums", betont Bärbel Höhn. "Die Debatte um Agrarsprit versus Nahrungsmittel, also die Debatte 'Teller oder Tank', müsste eigentlich 'dickes Steak oder Teller' heißen."

In Brasilien etwa, so Höhn, wird auf acht Millionen Hektar Fläche Zuckerrohr angebaut, unter anderem um Biosprit zu erzeugen. Aber es gibt 200 Millionen Hektar Weideland - für Rinder, die Steaks für die Märkte des Westens produzieren. Weideland, das in immer größerem Ausmaß dem Regenwald abgerungen wird.

Alle drei - Klaus Töpfer, Klaus Milke und Bärbel Höhn, setzen auf Kleinbauern: Denen muss Infrastruktur, technisches Know-How und Geld zur Verfügung gestellt werden. Stärkt man die Kleinbauern, dient das der Hungerbekämpfung und dem Schutz des Klimas. Klimaschutz muss global gedacht werden. Dass Europa einer der wichtigsten Exporteure von Getreide, Fleisch und Milchprodukten auch nach Afrika ist - und einheimische Bauern vom Markt verdrängt, ist eine dieser Einsichten. Und dass nicht jede Form von Biosprit dem Klima nützt, eine zweite. "Über die Zusammenhänge wissen wir eigentlich genug, wir müssen nur endlich danach handeln", fordert Klaus Milke.

Autor: Jens Thurau
Redaktion: Matthias von Hein