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Klimawandel bedroht Meeresschildkröten

Irene Quaile16. September 2014

Auf einer UN-Sitzung in Bonn haben Experten die bedrohliche Lage der Meeresschildkröten diskutiert. Laut Forscher Colin Limpus ist der Klimawandel nur der jüngste menschgemachte Faktor, unter dem die Schildkröten leiden.

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Meeresschildkröten in neuem Luxusaquarium
Bild: picture-alliance/dpa

Deutsche Welle: Herr Limpus, warum stehen die Meeresschildkröten jetzt auf der Agenda?

Colin Limpus: Meeresschildkröten müssen viele Einwirkungen auf ihren Lebensraum hinnehmen, die durch die Klimaerwärmung aufgetreten sind. Zum Beispiel wird das Geschlecht der Jungtiere durch die Temperatur des Nestes, also des Sandes, während der Brutzeit bestimmt. Ist der Strand besonders warm, werden mehr Weibchen geboren, an kalten Stränden überwiegend Männchen. Eine unserer größten Sorgen bei den ansteigenden Temperaturen ist, dass vielerorts nur noch weiblicher Nachwuchs geboren wird.

Das zweite große Problem ist, dass Schildkröten ausschließlich an Sandstränden nisten. Steigt der Meeresspiegel weiter an, werden die Nistplätze überschwemmt und die Eier zerstört.

Colin Limpus Experte für Meeresschildkröten
Colin LimpusBild: DW/I. Quaile

Darüber hinaus gibt es eine Diskussion über die zunehmende Intensität von Hurrikanen und Wirbelstürmen. Diese führt zu zerstörerischen Veränderungen der Lebensräume der Meeresschildkröten. Diese Gebiete brauchen manchmal Jahre, um sich zu erholen.

Können wir schon Anzeichen solcher Entwicklungen sehen?

Wir können nur schwer beurteilen, welche Folgen Überschwemmungen und Wirbelstürme, die es schon jetzt vermehrt gibt, für die Schildkrötenpopulation haben werden. Es gibt zwar Studien, aber diese wurden mit Daten durchgeführt, die Veränderungen und Abwanderung der Populationen nicht berücksichtigen. Sehen wir uns zum Beispiel Australien an und das, was dort in den letzten 10.000 bis 12.000 Jahren passiert ist: Viele Arten nisten in Regionen, die vor 10.000 Jahren noch trockenes Land waren. Der nächste Strand war damals 900 Kilometer entfernt.

Von der Eiszeit bis heute haben wir einen enormen Klimawandel durchlebt. Die Schildkröten haben das überlebt, indem sie ihre Brutstätten immer wieder verlegt haben. Doch das ein Teil ihres Lebens, den wir bis heute noch nicht gut erforscht haben. Es ist nun unsere Aufgabe zu prüfen, wie die Schildkröten auf diesen Klimawandel reagieren. Werden sie bleiben wo sie gerade sind und die Folgen hinnehmen? Oder werden sie abwandern und sich auf andere Bereiche einstellen? Wir müssen prüfen, wie schnell sie sich im Vergleich zu früher an einen raschen Klimawandel anpassen können.

Wir sprechen also über ein sich schneller wandelndes Klima als in der Vergangenheit?

Ja, so sehen es viele. Und wenn das der Fall seien sollte, wird das den Lebensraum der Schildkröte weiter auf den Prüfstand stellen. Aber es gibt weitere Bereiche ihres Lebens, die wir noch nicht sehr gut erforscht haben. Wir wissen, dass eine Schildkröte an ihren Geburtsort zurückkehrt. Jüngste Forschungen aber zeigen uns, dass sie nicht unbedingt an ihren Geburtsstrand zurückkehren, sondern in die gleiche Region.

Das heißt, möglicherweise ist eine Schildkröte in der Lage, auf Veränderungen zu reagieren, indem sie einen neuen Nistplatz aussucht, vielleicht einige hundert Kilometer weg von dem Ort, an dem sie selbst zur Welt kam. So könnte sie einen Strand mit den richtigen Temperaturen und Sicherheit für ihre Brut suchen.

Aber das wissen wir nicht?

Nein, wir können es nur ahnen. Aber ich habe Vertrauen in diese Tiere, die seit Millionen Jahren Klimaveränderungen und katastrophale Ereignisse wie das Aussterben der Dinosaurier überlebt haben und dabei zeigten, wie anpassungsfähig sie sind. Nun ist die Frage, was wir ihnen in Zukunft zumuten. In der Vergangenheit gab es keine menschlichen Einflüsse auf ihren Lebensraum, an die sie sich anpassen mussten.

Jetzt aber fügen wir den Klimawandel hinzu und drängen sie so weiter in die Kategorie der bedrohten Arten. Ihr Überleben hängt stark davon ab, wie sehr wir ihnen helfen. Wir müssen uns überlegen, wie wir die Temperaturen an den Stränden in den Griff bekommen und wie wir die Regenerierung der Nahrungsgebiete, der Seegrasweiden und der Korallenriffe unterstützen können. Wir müssen die Schmutzablagerung beobachten, die durch Hochwasser von den Ufern abgetragen werden und in das Meer gelangen. Es gibt einiges, was wir für die Schildkröten tun können. Wir müssen es nur angehen!

Warum sollten wir uns überhaupt um die Meeresschildkröten sorgen? Welche Rolle spielen sie in unserem Ökosystem?

Das kommt darauf an, welchem Teil der Bevölkerung sie diese Frage stellen. Eine Person, die in Berlin lebt, würde vielleicht sagen 'Ich sehe da keine großen Zusammenhänge'. Ein Mensch, der einem indigenem Volk im Norden Australiens angehört, sieht das ganz anders. Er würde über den Wert der Schildkröte als Totemtier sprechen, als Bestandteil seiner Religion. In einigen Teilen des Landes sind Schildkröten zudem die Hauptquelle für rotes Fleisch für den Menschen. So sind sie Nahrungsquelle und kulturelles Gut und für indigene Völker sehr, sehr wichtig.

In dem Ort, in dem ich aufgewachsen bin, sind Schildkröten für einen Großteil des Jahres der wichtigste ökonomische Faktor. Touristen kommen, um sich die Brutstätten und Niststrände der Tiere anzusehen. In diesem Zuge besuchen sie die Restaurant und Hotels. Wirtschaftswissenschaftler würden die Schildkröten als wichtige wirtschaftliche Komponente ansehen. Ich als Biologe sehe sie als integralen Bestandteil unseres Ökosystems. Die grüne Schildkröte zum Beispiel ist ein Pflanzenfresser und ernährt sich von Seegräsern. Ihre Aktivitäten fördern den Nährstoffenumsatz in den Meergrasweiden. So haben Schildkröten viele unterschiedliche Bedeutungen für verschiedene Komponenten unserer Erde.

Das Interview führte Irene Quaile.

Colin Limpus ist Chefwissenschaftler für Meereskunde an der University of Queensland in Australien. Sein Forschungsschwerpunkt sind die Einflüsse von Mensch und Umwelt auf die Meeresschildkröten.