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"Kirche ran ans Kerngeschäft!"

Stefan Dege29. April 2013

Der Religionssoziologe Detlef Pollack spricht im DW-Interview über Mission, Kernkompetenzen, über Mitmachen und Beobachten beim Evangelischen Kirchentag in Hamburg.

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Detlef Pollack, geb. 1955, ist Religionssoziologe beim Excellenz-Cluster "Religion und Politik" der Uni Münster. Foto: Excellenz-Cluster "Religion und Politik", Brigitte Heeke Eingestellt: 17.4.2013
Detlef PollackBild: Brigitte Heeke

DW: Herr Professor Pollack, 100.000 evangelische Christen bei einem Kirchentag in Hamburg: Was löst das aus in der Stadt - und bei den Teilnehmern?

Detlef Pollack: Ganz gewiss die Aufmerksamkeit. Für die Teilnehmer ist es vor allem deshalb wichtig, weil sie sich in ihrem Glauben, in ihrer Art, den Glauben zu leben, in ihrer Spiritualität und Religiosität durch andere Teilnehmer bestätigt sehen. Und das Gefühl haben, in ihrer Art, den Glauben zu leben, nicht allein zu stehen.

Missioniert so ein Kirchentag - missionieren überhaupt kirchliche Events dieser Größenordnung?

Man kann das eigentlich nicht wahrnehmen. Man kann nicht sehen, dass durch diese Großevents eine Art Umkehrtrend in Gang kommt, dass mehr Menschen zur Kirche finden, oder dass mehr am Gottesdienst teilnehmen.

Ethisches Wirtschaften, Zusammenleben der Kulturen, Inklusion - große Reizthemen, die der Kirchentag in sein 620-Seiten-Programm geschrieben hat. Ist die Kirche gesellschaftspolitisch wirklich so relevant, wie sie jetzt auch in Hamburg erscheinen möchte?

Ich würde es umgekehrt formulieren. Mir scheint es so, als ob die führenden Kirchenvertreter versuchen, auf solche großen Themen aufzuspringen, um ihre Relevanz deutlich zu machen. Aber die Menschen selber erwarten von der Kirche nicht unbedingt politische Stellungnahmen. Das ist relativ gut erforscht. Was man von der Kirche erwartet: dass sie die Botschaft zeitnah und lebensnah, modern verkündigt, dass sie Gottesdienste durchführt, dass sie Möglichkeit für geistliche Kommunikation bietet. Was man auch von der Kirche erwartet: dass sie da ist für die Armen, Schwachen, für die Ausgegrenzten, dass sie also karitativ und diakonisch tätig ist, und vor allem auch Rituale für die Menschen bereitstellt. Wenn es darum geht, ob die Kirche sich politisch einmischt, da trauen die Menschen eigentlich anderen Institutionen - den Parteien, den Parlamenten - mehr zu als den Kirchen.

Das heißt, von der Kirche erwarten die Menschen, dass sie vorrangig ihr christliches Kerngeschäft erledigt?

Das vorrangig. Selbst diejenigen, die wenig Beziehung zur Kirchen haben, sagen: Das soll die Kirche ruhig machen, Gottesdienste sollen stattfinden. Und wenn es eines Tages für mich selbst bedeutsam sein sollte, möchte ich auch da hingehen können und mich geistlich betreuen lassen. Das ist unbestritten. Aber dass die Kirche sich zu Arbeitslosigkeit sich äußert, oder zu politischen Fragen? Was sie doch tun sollte, das sind Fragen wie die soziale Gerechtigkeit ansprechen. Also da traut man der Kirche schon eine gewisse Kompetenz zu. Das fällt auch in die Kompetenz des Evangeliums. Da gibt es eine Beziehung zwischen den Aussagen des Evangeliums und der politischen Wirklichkeit. Aber wenn es um die konkreten politischen Probleme geht, dann ist die Kirche nicht so stark nachgefragt.

Aber die Kirchen erfüllen doch gerade diese Erwartungen. Warum verlieren sie dann weiter im großen Stil Mitglieder?

Es hängt nicht nur damit zusammen, was die Kirchen tun, ob die Menschen zur Kirche gehen oder nicht. Sondern ganz wichtig ist, dass die moderne Gesellschaft so viele Verwirklichungsmöglichkeiten, so viele Selbstbestätigungs- und Selbstbetätigungsmöglichkeiten bereitstellt, dass die Kirche hier in Konkurrenz zu anderen Angeboten steht: zu Freizeitangeboten, zu Unterhaltungsindustrie, Kinobesuch und Mediengebrauch. Das ist für die Kirche sehr schwer, innerhalb dieser säkularen Konkurrenten zu bestehen. Und das ist ein ganz wesentlicher Faktor dafür, dass - obwohl die Kirchen möglicherweise eine gute Arbeit machen - sie immer mehr an Mitgliedern verlieren.

Religion hat Konjunktur, zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung. Sicherlich auch ein Verdienst der Medien. Aber die christlichen Kirchen profitieren nicht davon?

Ja, in den Medien findet die Religion eine große Aufmerksamkeit. Aber nicht nur deswegen, weil das Christentum eine so zentrale Rolle spielt, sondern auch deswegen, weil Religion als ein politischer Faktor in der Weltpolitik immer mehr ins Bewusstsein getreten ist. Religion ist ein Thema der Medien geworden, wie es das vor zehn oder 15 Jahren nicht war, aber die Kirchen profitieren davon relativ wenig.

Was machen die Kirchen dann falsch?

Ich bin nicht davon überzeugt, dass die Kirchen so viel falsch machen. Ganz im Gegenteil. Ich würde eher sagen, dass hier in Mitteleuropa, in Deutschland die Kirchen einen schweren Stand haben. Aus verschiedenen Gründen - ein ganz wesentlicher Punkt ist der, dass die Kirchen über Jahrhunderte hinweg eine gewisse Staatsnähe aufgewiesen haben. Bis heute werden die Kirchen sehr stark als quasi-staatliche Institutionen wahrgenommen. Also man kritisiert an ihr Amtsmissbrauch, eine hierarchische Ordnung, Bürokratie, Verstaubtheit. Offenbar ist es so, dass die Kirchen mit gewissen Vorurteilen zu kämpfen haben, die sie kaum abbauen können. Obwohl sie vielleicht eine sehr gute Arbeit machen, können sie die Menschen dann doch nicht erreichen.

Ein entkirchlichtes Deutschland, ein entchristlichstes Deutschland - eine Horrorvision für Sie?

Ich würde nicht davon ausgehen, dass die deutsche Gesellschaft entchristlicht oder entkirchlicht ist. Aber die Bereitschaft, für den Glauben, für die Kirche zu investieren, ist relativ gering. Das Christentum soll es ruhig geben. Aber man selber hat ein relativ distanziertes oder laues Verhältnis zum Christentum. Und das ist das Problem der Kirchen.

Aber auch das Problem der Gesellschaft…

Die Kirchen leisten ja eine wichtige Arbeit im karitativen Bereich, auch im bildungspolitischen Bereich. Das sollte man nicht unterschätzen. Andererseits bin ich nicht davon überzeugt, dass wenn die Bedeutung von Religion und Kirche weiter zurück geht, es deswegen zu einem moralischen oder sozialmoralischen Notstand kommt. Es gibt so viele Quellen der Sozialität oder Moralität. Das Christentum, die Religion ist nicht die einzige Quelle. Und ich glaube, dass es eine Vielzahl von Möglichkeiten gibt, ein gutes, ein moralisch sinnvolles Leben zu führen.

Professor Dr. Detlef Pollack ist Religionssoziologe am Excellenzcluster "Religion und Politik" der Universität Münster.