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Interview Kirby Nordkoea Menschenrechte

Esther Felden6. März 2014

Über Monate hat eine dreiköpfige UN-Kommission Menschenrechtsverletzungen in Nordkorea untersucht. Im Gespräch mit der Deutschen Welle berichtet der Vorsitzende Michael Kirby über die verstörenden Ergebnisse.

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Michael Kirby (Foto: Reuters)
Bild: Reuters

Deutsche Welle: Sie haben fast ein Jahr intensiver Recherche hinter sich. Würden Sie sagen, dass das Gesamtbild über die alltäglichen Gräueltaten in Nordkorea weitgehend komplett ist – oder fehlen trotz allem noch wichtige Teile?

Michael Kirby: Die Kommission wurde zwar im März 2013 gegründet, aber die eigentliche Arbeit haben wir erst im Juli aufgenommen. Also sind es eigentlich nur sieben Monate gewesen. Der Bericht ist sehr umfangreich, er umfasst 300 Seiten, und er gibt Antworten auf den vom UN-Menschenrechtsrat in Auftrag gegebenen Acht-Punkte-Katalog rund um das Thema Menschenrechtsverletzungen.

Natürlich hat die Kommission auch um Erlaubnis gebeten, in Nordkorea selbst die Orte besichtigen zu dürfen, die von unseren Zeugen als Straflager beschrieben wurden und wo auch Satellitenbilder darauf hindeuten, dass es sich um solche Gefangenenlager handelt. Die nordkoreanische Seite hat uns den Zugang verweigert. Deshalb haben wir Zeugen in Tokio, Seoul, London und Washington, D.C. befragt.

Ich bin mir ziemlich sicher, dass es Bereiche gibt, über die wir noch nicht alles wissen, aber ich denke, dass unser Bild ziemlich vollständig ist. Und ganz sicher haben wir genug gesammelt, um zu zeigen, dass es in Nordkorea Menschenrechtsverletzungen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit gab und gibt – und dass die Menschen, die für diese Verbrechen verantwortlich sind, sich vor der Internationalen Gemeinschaft für ihre Taten verantworten müssen. Die Informationen liegen vor, und wenn es eine Bereitschaft zum Handeln gibt, haben wir eine gute Basis, von der aus ein Ankläger ein Verfahren gegen die Verantwortlichen auf den Weg bringen könnte.

Waren Sie "vorbereitet" auf das, was Sie bei Ihrer Arbeit herausgefunden haben – oder hat das Ausmaß der Menschenrechtsverletzungen in Nordkorea Ihre Vorstellungen übertroffen?

Ehrlich gesagt, wusste ich vorher nicht so viel über Nordkorea, ich bin kein Nordkorea-Experte. Ich bin als Richter aufgeschlossen an die Aufgabe herangegangen. Ich hege keinerlei Feindschaft gegenüber Nordkorea, nicht im Vorfeld und auch nicht während der Untersuchungen. Aber die Niederträchtigkeit der nordkoreanischen Führung, die in den Befragungen immer wieder deutlich wurde, hatte ich nicht erwartet, genauso wenig wie das Ausmaß des Leids, über das uns vor allem im Zusammenhang mit den Straf- und Arbeitslagern berichtet wurde. Oder der Hunger: Noch heute sind 27 Prozent aller nordkoreanischen Babys unterentwickelt und mangelernährt. Und das hat Folgen für den Rest ihres Lebens. Auch die Diskriminierung von Frauen, Christen oder überhaupt jedem, der nur im kleinsten Verdacht steht, kritisch gegenüber der politischen Linie der Führung zu sein, hatte ich in dem Ausmaß nicht erwartet.

Sie haben die Verbrechen in Nordkorea mit denen der Nationalsozialisten im Zweiten Weltkrieg verglichen. Warum? Wo sehen Sie Parallelen?

Die Parallelen sind nicht wirklich exakt. Die meisten der von den Nazis begangenen Gräueltaten waren rassisch oder religiös motiviert. Zwar werden auch in Nordkorea Christen diskriminiert, aber über Diskriminierung aufgrund von Rasse gibt es kaum Zeugnis. Es gab Zeugenaussagen, die über Reinrassigkeits-Vorstellungen in Nordkorea berichtet haben. Wenn beispielsweise eine nordkoreanische Frau nach China flieht, dort von einem chinesischen Mann schwanger und dann aufgegriffen und in ihr Heimatland zurückgeschickt wird - dann ist ihr Kind großen Vorurteilen ausgesetzt. In einem Fall hat uns eine betroffene Frau geschildert, dass sie gezwungen wurde, ihr Baby kopfüber in einen Eimer mit Wasser zu halten, bis das Kind ertrunken war.

Die eigentliche Ähnlichkeit fiel mir durch die Aussage eines Zeugen auf, der über die Zustände in einem politischen Gefangenenlager berichtete. Seit Job bestand darin, die ausgemergelten Körper verhungerter Häftlinge zu beseitigen. Doch dafür hatte er nicht die nötige Ausrüstung. Also hat er die Leichen in einem großen Bottich verbrannt. Die Asche und restliche Körperteile wurden auf den umliegenden Feldern als Düngemittel verwendet, er sagte, es sei guter Dünger gewesen. Da musste ich an die Bilder aus meiner Kindheit denken, daran, wie am Ende des Zweiten Weltkrieges die Konzentrationslager geöffnet wurden und wie wir danach dachten, etwas Derartiges könnte sich nicht wiederholen. Aber die Zeugenaussagen, die wir jetzt gesammelt haben zeigen, dass wir in den nordkoreanischen Lagern ganz ähnliche Szenen vorfinden würden,

Bevor Sie Ihren Bericht veröffentlicht haben, haben Sie eine Kopie an das nordkoreanische Regime geschickt – und auch persönlich an Kim Jong Un geschrieben. Bis jetzt hat er darauf nicht reagiert. Haben Sie wirklich mit einer Reaktion gerechnet, oder war dieser Brief eher eine symbolische Geste?

Wir haben keine Antwort erhalten. Wir haben das Regime und den obersten Führer Nordkoreas mehrfach angeschrieben. Als wir unseren Bericht fertiggestellt hatten, haben wir der nordkoreanischen Führung eine Kopie zukommen lassen, so wie es in einem rechtsstaatlichen Verfahren vorgeschrieben ist. Deshalb haben wir uns auch an Kim Jong Un direkt gewandt. Bis jetzt hat er nicht reagiert, und es ist fraglich, ob er es noch tut. Das nordkoreanische Regime hat den Bericht als eine Ansammlung von Lügen bezeichnet. Die Zeugenaussagen würden "aus dem Munde menschlichen Abschaums" stammen. Überall auf der Welt außer in Nordkorea selbst können die Menschen ins Internet gehen und sich die Berichte der Zeugen anschauen. Jeder kann sich selbst ein Bild von der Glaubwürdigkeit machen.

Es war unsere Pflicht, den obersten Führer Nordkoreas zu warnen und ihn darüber zu informieren, dass nach internationalem Strafrecht auch diejenigen, die Beihilfe zu Verbrechen gegen die Menschlichkeit leisten anstatt sie zu verhindern, sich strafbar machen.

Sie haben über 300 Zeugen, Überlebende und Experten befragt. Welche Geschichten haben Sie persönlich am meisten berührt?

Es ist schwer, einzelne Geschichten zu benennen, denn es gab so viele erschütternde Berichte. Da war das Schicksal einer Mrs. Kim, die wir in Seoul befragt haben. Sie war mit ihrem Ehemann in ihrem Haus nahe der Grenze zwischen Nord- und Südkorea. Sie hatten Angst, dass die von den UN-Truppen zurückgedrängten nordkoreanischen Soldaten (Anmerk. der Red.: Die Rede ist von den Kämpfen während des Korea-Krieges zwischen 1950 und 1953) den Mann ergreifen und mitnehmen würden. Also versteckten sie sich in ihrem Haus. Die nordkoreanischen Soldaten übersahen ihn zunächst – aber dann machte er den Fehler, sein Versteck zu früh zu verlassen. Die Soldaten kehrten noch einmal zurück, fanden den Mann und nahmen in mit, vermutlich nach Nordkorea. Seine Frau hat nie wieder etwas von ihm gehört. Sie sagt, es vergeht kein Tag, an dem sie nicht an ihn und an diese letzten Momente mit ihm denkt. Sie wünscht sich, ihm um den Hals fallen und ihm sagen zu können, dass sie ihn liebt.

Solche Geschichten von menschlichem Leid, erzählt in einfacher Sprache von völlig unpolitischen Menschen, haben mich bewegt. Und ich glaube, nicht nur mich, sondern auch die Allgemeinheit. Verbrechen gegen die Menschlichkeit lösen Ekel und Abscheu aus. Genau diese Gefühle werden durch die Beweise im Bericht der UN-Untersuchungskommission zu Nordkorea hervorgerufen – und fordern eine Resolution und eine Antwort.

Michael Kirby ist Leiter der dreiköpfigen UN-Kommission, die Menschenrechtsverletzungen in Nordkorea untersucht hat. Früher war er Richter am Obersten Gericht in Australien.