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Afghanistan: Keine Zukunft ohne Hilfe

Waslat Hasrat-Nazimi, z.Zt. London3. Dezember 2014

Ohne weitere Unterstützung von außen sind die Errungenschaften der vergangenen Jahre gefährdet, warnen Experten vor der Afghanistan-Konferenz. Vor allem Frauen bangen um ihre Rechte. Aus London Waslat Hasrat-Nazimi.

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Internationales Frauenfilmfestival in Afghanistan
Bild: Isca News

"Wir wollen, dass sie uns helfen, uns selbst zu helfen", sagt Hassina Safi, Direktorin des Afghan Women Network, mit Nachdruck. So wie 50 andere Mitglieder der afghanischen Zivilgesellschaft ist sie nach London gekommen, um auf die schwierige Lage in Afghanistan aufmerksam zu machen. "In den vergangenen 14 Jahren, seit dem Ende des Taliban-Regimes, haben die Afghanen bewiesen, dass sie in der Lage sind, etwas an ihrer Situation zu verbessern, wenn man ihnen die Chance gibt", so Safi. Jetzt fordert sie Geduld - und kontinuierliche Hilfe.

Die Botschaft der afghanischen Zivilgesellschaft an die internationale Gemeinschaft ist klar: "Vergesst uns nicht!" Nach dem fast kompletten Abzug der internationalen Truppen aus dem Land fühlen sich viele Afghanen allein gelassen. Die Sicherheitslage ist so schlecht wie lange nicht mehr, gerade haben mehrere Anschläge die Bevölkerung erschüttert. Um den Konflikt zu entschärfen, will die afghanische Regierung neue Friedensgespräche mit den Taliban wagen. Aber zu welchem Preis? Vor allem Frauenrechtlerinnen sind besorgt darüber, dass keine Frau in den Prozess einbezogen wird. Hassina Safi glaubt zwar nicht, dass wieder frauenverachtende Zustände kommen wie während der Herrschaft der radikal-islamischen Gotteskrieger. Doch sie fürchtet, dass die Politiker Kompromisse eingehen könnten, die bisherige Erfolge zunichte machen. "Frauen sind die Hälfte der afghanischen Bevölkerung. Wenn wir die außer Acht lassen, dann hat das weitreichende Folgen für die Entwicklung des Landes."

Afghanische Polizistin in Herat am 27.02.2014 (Foto: AFP/Getty Images)
Fortschritte Richtung Gleichberechtigung: Afghanische Polizistin in HeratBild: AFP/Getty Images/ Aref Karimi

Zarte Fortschritte bedroht

Bei der Londoner Konferenz zur Unterstützung des zivilen Aufbaus in Afghanistan beraten am Donnerstag der britische Premierminister David Cameron, der neue afghanische Präsident Ashraf Ghani und weitere Regierungsvertreter aus aller Welt über die künftige finanzielle Zusammenarbeit. Im Vorfeld treffen sich am Mittwoch Vertreter von internationalen Hilfsorganisationen, aus der Entwicklungszusammenarbeit und Menschenrechtsorganisationen. Diese sogenannte Ayenda-Konferenz ("Ayenda" heißt "Zukunft" in der Landessprache Dari) sammelt Vorschläge und gibt sie an die Regierungsvertreter weiter. Sie sprechen unter anderem über Frauenrechte, Gesundheit und Bildung.

"Seit 2001 hat Afghanistan großartige Fortschritte gemacht", sagt Jawed Nader, Direktor der British and Irish Agencies Afghanistan Group (BAAG) und Gastgeber der Ayenda-Konferenz. "Wir sehen das zum Beispiel im Gesundheitssektor, in der Bildung und Infrastruktur. Die Lebenserwartung ist gestiegen, Mädchen gehen zur Schule und zum ersten Mal haben viele Menschen Kliniken in ihren Dörfern." Gleichzeitig räumt er ein, dass dieser Fortschritt stagnieren oder gar zurückgeworfen werden könne, sollte die internationale Gemeinschaft sich von Afghanistan abwenden.

Frauenrechte auf dem Papier

Das würde vor allem die Rechte der Frauen betreffen. Zwar sind Frauen und Männer nach afghanischen Gesetzen gleichberechtigt, aber bis heute sieht die Realität anders aus. Laut UN können immer noch etwa 90 Prozent der Mädchen und Frauen nicht lesen und schreiben. Etwa 80 Prozent aller Frauen haben mindestens einmal in ihrem Leben Gewalt erlebt. Drei von vier Hochzeiten in Afghanistan sind Zwangsheiraten. Das Frauenministerium hat im vergangenen Jahr mehr als 4000 Fälle von Gewalt gegen Frauen gezählt, die Dunkelziffer schätzt es um einiges höher.

Proteste gegen Vergewaltigungen in Bamiyan (Foto: DW/N. Behzad)
Viele Rechte stehen nur auf dem Papier: Proteste gegen Vergewaltigungen in BamiyanBild: DW/N.Behzad

Solche Fälle kennt auch Najiba Ahmadi. Sie ist die Direktorin des Frauenhauses in der Provinz Bamiyan, einer relativ ruhigen Region des Landes. Dennoch wird ihr täglich der Tod angedroht - zum Beispiel in einem Fall wie diesem: "Vor einiger Zeit haben wir eine junge Frau aufgenommen, die sich verliebt hatte und ohne Zustimmung der Eltern heiratete. Die Familie hat nicht nur die junge Frau verfolgt, sondern auch mich dafür verantwortlich gemacht und ich musste meine Kinder in die Hauptstadt schicken und selbst im Frauenhaus wohnen, bis die Gefahr vorbei war." Für Frauen wie Najiba gehört das zu ihrer Arbeit. "Ich habe keine Angst", sagt sie mutig. Umso wichtiger findet sie es deshalb, dass afghanische Frauen nicht allein gelassen werden. "Frauen sind Opfer des Konflikts. Sie müssen selbstständig werden, um sich selbst zu verteidigen und gleichberechtigte Mitglieder der Gesellschaft zu werden."

Im Vergleich zur Schreckensherrschaft der Taliban, als Frauen zu Hause eingesperrt waren und weder zur Schule noch zur Arbeit durften, haben Frauen seit 2001 einiges erreicht. Heute ist rund jeder vierte Sitz in der Nationalen Versammlung an eine Frau vergeben. In den Provinzräten sind 20 Prozent der Sitze für weibliche Abgeordnete reserviert. Ein Gesetz gegen Gewalt gegen Frauen hat der damalige Präsident Hamid Karsai per Dekret durchgesetzt. Das war eine der größten Errungenschaften für Frauen in Afghanistan und ohne den Druck einheimischer Aktivistinnen und der internationalen Gemeinschaft nicht möglich gewesen. Allerdings schützt das Gesetz Frauen oft nur theoretisch, nicht aber in der Realität. Hassina Safi resümiert: "In den vergangenen zehn Jahren hatten wir Erfolge, aber damit können wir noch nicht ausgleichen, was vorher zerstört wurde."