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Keine Belastung für Sozialkassen

Alois Berger11. Oktober 2013

Eine Familie aus Rumänien hat in Deutschland nach kurzer Zeit Sozialhilfe zugesprochen bekommen. Kommunen fürchten jetzt um ihre Gelder. Keine Gefahr sieht dagegen eine Studie der EU-Kommission.

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Agentur für Arbeit Köln Foto: dpa
Bild: picture-alliance/dpa

Der deutsche Innenminister sieht eine Welle von Armutsmigranten aus Rumänien und Bulgarien auf Deutschland zuschwappen - Migranten, die es vor allem auf die deutsche Sozialhilfe abgesehen hätten: "Es kann nicht sein", wetterte Hans-Peter Friedrich am Dienstag (08.10.2013) beim EU-Innenministertreffen in Luxemburg, "dass Freizügigkeit so missbraucht wird, dass man ein Land nur deswegen wechselt, weil man höhere Sozialhilfe haben will." Zwei Tage später goss das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen Öl ins Feuer und sprach einer aus Rumänien eingewanderten Familie Sozialhilfe zu, die ein Jahr vergeblich in Deutschland Arbeit gesucht hatte.

Seit 2007 sind Rumänien und Bulgarien in der Europäischen Union. Seitdem können die Bürger dieser beiden Länder ohne Visum und ohne Beschränkung in die Bundesrepublik kommen. Einschränkungen gibt es bisher, wenn Rumänen und Bulgaren eine Arbeit aufnehmen wollen - dafür hatte die Bundesregierung beim EU-Beitritt der beiden Länder sieben Jahre Übergangszeit ausgehandelt. Die sind nun vorbei - Ende des Jahres werden diese Hürden fallen.

Doch der Bundesinnenminister möchte das nicht akzeptieren. Zusammen mit seinem britischen und seinem österreichischen Kollegen hat er die EU-Kommission schon vor Monaten aufgefordert, etwas zu tun gegen arme Einwanderer vom östlichen Balkan. Wer arbeiten will, sei willkommen, so Friedrich, wer nur wegen der Sozialhilfe käme, müsse zurückgeschickt werden können.

Der "Arbeiterstrich" wird die Dortmunder Mallinckrodtstraße genannt. Es gibt ihn, seit Rumänien und Bulgarien 2007 der EU beigetreten sind. (Foto: epd)
"Arbeiterstrich" wird die Dortmunder Mallinckrodtstraße genannt: Vor allem Roma, Rumänen und Bulgaren bieten hier ihre Arbeitskraft anBild: imago/epd

Wissenschaftler erkennen keine soziale Belastung

Die EU-Kommission hat nun in Brüssel eine Studie verteilt, nach der die Migranten aus anderen EU-Ländern das Sozialsystem des Gastlandes nicht belasten. Die Neuankömmlinge sind im Durchschnitt sogar besser ausgebildet als die Bevölkerung des Gastlandes, so die Studie, weshalb die meisten auch rasch Arbeit fänden und so zur Finanzierung der Sozialsysteme beitrügen. Nur ein kleiner Teil dieser Gruppe sei arbeitslos und ein noch kleinerer beziehe Sozialhilfe.

Doch woher kommt dann der Aufschrei der deutschen Städte, die über stark ansteigende Sozialausgaben für Rumänen und Bulgaren klagen? Duisburg, Dortmund, Mannheim und Berlin fordern Hilfe von der Bundesregierung und von der EU. Ganze Stadtteile würden von den neuen EU-Bürgern überschwemmt.

Der Projektmanager der Bertelsmann-Stiftung für Integration und Bildung, Orkan Kösemen, sieht da keinen Widerspruch. Die Erwerbsquote der neuen Einwohner sei mit 70 Prozent ein gutes Stück höher als die der deutschen Bevölkerung. "Aber unter den zugezogenen Rumänen und Bulgaren sind auch einige, die nicht qualifiziert sind und auch keinen Job finden werden", differenziert Kösemen, "und die kommen in wenigen Städten und selbst dort in wenigen Vierteln zusammen. Diese Konzentration wirkt dann wie eine Welle."

Ein Junge fährt im Hof eines Wohnprojekts in Berlin Fahrrad. In 137 Wohnungen leben dort künftig 500 aus Rumänien stammende Roma in sanierten, bezahlbaren Wohnungen. (Foto: dpa)
Rumäne in Deutschland sein heißt nicht immer arm sein: Roma-Junge in einem Wohnprojekt in BerlinBild: picture-alliance/dpa

Niedrige Löhne reichen kaum zum Leben

Ähnliche Erfahrungen hat auch Elke Tiessler-Marenda, Migrationsexpertin der Caritas, gemacht. Gerade die Ärmsten würden eben dahin ziehen, wo die Mieten besonders niedrig seien. "In Dortmund zum Beispiel sind Bulgaren und Rumänen in Gegenden gezogen, wo die Probleme schon da waren", sagt Tiessler-Marenda: "Die Kommunen beklagen zurecht, dass sie mit den Problemen allein gelassen werden, aber eben nicht nur mit den neuen, auch mit den alten."

Sicher gäbe es auch Zuwanderer, die es tatsächlich von vorneherein auf die Sozialhilfe abgesehen hätten - das will sie nicht ausschließen. Aber das seien Ausnahmen. Wenn die neuen Zuwanderer Sozialhilfe beantragten, dann meist, weil sie ihre Chancen falsch eingeschätzt hätten: "Die kommen hierher, um zu arbeiten und können sich dann nicht vorstellen, dass sie von ihrer Hände Arbeit nicht leben können."

Elke Tiessler-Marenda denkt da zum Beispiel an die rumänischen Metzger in den Schlachthöfen, die mit Hungerlöhnen abgespeist werden. Die besuchten dann die Caritas-Beratungsstellen, wo ihnen erklärt werde, dass sie Recht auf aufstockende Sozialhilfe hätten: "Das ist kein Sozialbetrug, das ist so vorgesehen gewesen, als die Hartz-IV-Unterstützungsleistungen eingeführt wurden. Das gilt für Einheimische wie Zugewanderte. Das Problem ist, dass die Leute zu wenig verdienen."

Eine Bettlerin sitzt mit einem Kind in einem Kinderwagen auf einer Straße in Hannover (Foto: Julian Stratenschulte/dpa)
Das fürchten viele Kommunen: Arme Einwanderer, die den Sozialkassen auf der Tasche liegenBild: picture-alliance/dpa

Die "Einwandererwelle" bleibt aus

Die umstrittene Gerichtsentscheidung hält sie für durchaus schlüssig. Dass Menschen, die zur Arbeitssuche nach Deutschland kämen, keinen Anspruch auf Sozialhilfe hätten, könne nicht unbegrenzt gelten. "Die haben seit über einem Jahr ohne Einnahmen vegetiert, da hat das Gericht gesagt, das geht jetzt nicht mehr, die haben Anspruch."

Caritas-Beraterin Tiessler-Marenda teilt auch nicht die Befürchtung, dass nach dem Urteil reihenweise Rumänen nach Deutschland aufbrechen würden, um nach einem Jahr im Elend Sozialhilfe abzugreifen. Es habe auch früher schon Urteile gegeben, nach denen Rumänen und Bulgaren mehr Anspruch auf staatliche Unterstützung hätten, als viele glaubten. "Das hat sich rumgesprochen und trotzdem hat es nicht zu einem totalen Run geführt."

Nur wenige schwarze Schafe

Orkan Kösemen von der Bertelsmann-Stiftung versucht, die Zahlen zurechtzurücken: Wenn man die Rückwanderung in die Heimatländer berücksichtige, dann seien es gerade einmal 40.000 Menschen, die derzeit pro Jahr aus Rumänien und Bulgarien zuzögen. Nur ein kleiner Teil von ihnen beziehe Sozialhilfe. Auch Kösemen will nicht ausschließen, dass manche nur für die staatliche Unterstützung nach Deutschland kämen: "Schwarze Schafe gibt es überall." Aber ein Land mit 80 Millionen Einwohnern müsste mit diesem Problem fertig werden.

Die Auseinandersetzung um die neue Zuwanderung sieht Kösemen gelassen. Solche Diskussionen schwappten immer wieder hoch und verschwänden dann auch wieder: "Vor zehn Jahren beim Beitritt der Polen zur EU, da hat man auch von einer Einwanderungswelle gesprochen, jetzt sind eben Rumänen und Bulgaren dran." Alles eine Frage der Perspektive: "Wir wissen, dass es gar nicht so viele sind, die aus Armut kommen. Aber sie sind halt konzentriert auf wenige Bereiche, und das wird vor Ort immer als Welle wahrgenommen."